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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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samung der associativen Vorgänge finden wir das Sinken seiner intel-
lectuellen Leistungen wieder, die Unmöglichkeit, verwickeltere Aus-
einandersetzungen zu geben oder zu verstehen, die Urtheilslosigkeit
gegenüber eigenen und fremden Geistesproducten, den Mangel an klarer
Ueberlegung und an Einsicht in die Tragweite seiner Worte und
Handlungen. Die qualitativen Veränderungen der Associationen signa-
lisiren uns die Verflachung des Gedankenganges, die Neigung zu
stereotypen und trivialen Redensarten, zu öden Wortwitzen, zum Rade-
brechen in fremden Sprachen.

Die Erleichterung der motorischen Reactionen endlich ist die Quelle
des erhöhten Kraftgefühls, aber auch aller jener unüberlegten und zweck-
losen, impulsiven und gewaltthätigen Handlungen, welche dem Alkohol
eine solche Berühmtheit nicht nur in der Geschichte der thörichten und
übermüthigen Streiche, sondern auch namentlich in den Annalen der
Affectverbrechen verschafft haben. Ihr entspringt die Widerstandslosig-
keit, mit welcher sich eine Gesellschaft Angetrunkener durch ein Schlag-
wort, einen Einfall, das Beispiel zu den unsinnigsten Reactionen hinreissen
lässt, ihr die Redseligkeit, die Neigung zum Lärmen, Singen, Schreien,
Radaumachen, die im Einklange mit unseren früheren Erörterungen auch
dann noch andauert, wenn die Erschwerung des Denkens schon deutlich
ausgeprägt ist. Auf diese Seite der Alkoholwirkung ist auch wol die Er-
fahrung zu beziehen, dass unter dem Einflusse des Mittels jene psychischen
Hemmungen wegfallen, die wir als Zaghaftigkeit, Befangenheit, Ver-
legenheit bezeichnen, dass alle die zahllosen Rücksichten ihre Macht
über uns verlieren, welche sonst im menschlichen Verkehre unser
Reden und Thun auf das genaueste reguliren. Wir werden unbe-
fangen, muthig und rücksichtslos, wir sprechen "frei von der Leber
weg", sagen schroff unsere Meinung, ohne uns um die Wirkung unserer
Worte weiter zu bekümmern, schwatzen unsere Geheimnisse aus und
geben die intimsten Regungen unseres Innern ungenirt ganz gleich-
gültigen und fernstehenden Personen Preis.

Der gemeinsame Ursprung aller dieser Symptome des Rausches
aus den elementaren Störungen, welche wir aus den Versuchsergeb-
nissen abgeleitet haben, wird kaum bezweifelt werden können. Ich
habe schon in meiner früheren Arbeit darauf hingewiesen, dass wir
in den beiden Seiten der psychischen Umwälzung, welche der Alkohol
heraufführt, zugleich die beiden Wurzeln jenes pathologischen Zustandes
vor uns haben, den wir als "Unzurechnungsfähigkeit" be-
zeichnen. Der Verlust der Zurechnungsfähigkeit kann sich in doppelter
Weise vollziehen; einem Menschen kann die Uebersicht über die

Kraepelin, Beeinflussung. 13

samung der associativen Vorgänge finden wir das Sinken seiner intel-
lectuellen Leistungen wieder, die Unmöglichkeit, verwickeltere Aus-
einandersetzungen zu geben oder zu verstehen, die Urtheilslosigkeit
gegenüber eigenen und fremden Geistesproducten, den Mangel an klarer
Ueberlegung und an Einsicht in die Tragweite seiner Worte und
Handlungen. Die qualitativen Veränderungen der Associationen signa-
lisiren uns die Verflachung des Gedankenganges, die Neigung zu
stereotypen und trivialen Redensarten, zu öden Wortwitzen, zum Rade-
brechen in fremden Sprachen.

Die Erleichterung der motorischen Reactionen endlich ist die Quelle
des erhöhten Kraftgefühls, aber auch aller jener unüberlegten und zweck-
losen, impulsiven und gewaltthätigen Handlungen, welche dem Alkohol
eine solche Berühmtheit nicht nur in der Geschichte der thörichten und
übermüthigen Streiche, sondern auch namentlich in den Annalen der
Affectverbrechen verschafft haben. Ihr entspringt die Widerstandslosig-
keit, mit welcher sich eine Gesellschaft Angetrunkener durch ein Schlag-
wort, einen Einfall, das Beispiel zu den unsinnigsten Reactionen hinreissen
lässt, ihr die Redseligkeit, die Neigung zum Lärmen, Singen, Schreien,
Radaumachen, die im Einklange mit unseren früheren Erörterungen auch
dann noch andauert, wenn die Erschwerung des Denkens schon deutlich
ausgeprägt ist. Auf diese Seite der Alkoholwirkung ist auch wol die Er-
fahrung zu beziehen, dass unter dem Einflusse des Mittels jene psychischen
Hemmungen wegfallen, die wir als Zaghaftigkeit, Befangenheit, Ver-
legenheit bezeichnen, dass alle die zahllosen Rücksichten ihre Macht
über uns verlieren, welche sonst im menschlichen Verkehre unser
Reden und Thun auf das genaueste reguliren. Wir werden unbe-
fangen, muthig und rücksichtslos, wir sprechen „frei von der Leber
weg“, sagen schroff unsere Meinung, ohne uns um die Wirkung unserer
Worte weiter zu bekümmern, schwatzen unsere Geheimnisse aus und
geben die intimsten Regungen unseres Innern ungenirt ganz gleich-
gültigen und fernstehenden Personen Preis.

Der gemeinsame Ursprung aller dieser Symptome des Rausches
aus den elementaren Störungen, welche wir aus den Versuchsergeb-
nissen abgeleitet haben, wird kaum bezweifelt werden können. Ich
habe schon in meiner früheren Arbeit darauf hingewiesen, dass wir
in den beiden Seiten der psychischen Umwälzung, welche der Alkohol
heraufführt, zugleich die beiden Wurzeln jenes pathologischen Zustandes
vor uns haben, den wir als „Unzurechnungsfähigkeit“ be-
zeichnen. Der Verlust der Zurechnungsfähigkeit kann sich in doppelter
Weise vollziehen; einem Menschen kann die Uebersicht über die

Kraepelin, Beeinflussung. 13
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[193/0209] samung der associativen Vorgänge finden wir das Sinken seiner intel- lectuellen Leistungen wieder, die Unmöglichkeit, verwickeltere Aus- einandersetzungen zu geben oder zu verstehen, die Urtheilslosigkeit gegenüber eigenen und fremden Geistesproducten, den Mangel an klarer Ueberlegung und an Einsicht in die Tragweite seiner Worte und Handlungen. Die qualitativen Veränderungen der Associationen signa- lisiren uns die Verflachung des Gedankenganges, die Neigung zu stereotypen und trivialen Redensarten, zu öden Wortwitzen, zum Rade- brechen in fremden Sprachen. Die Erleichterung der motorischen Reactionen endlich ist die Quelle des erhöhten Kraftgefühls, aber auch aller jener unüberlegten und zweck- losen, impulsiven und gewaltthätigen Handlungen, welche dem Alkohol eine solche Berühmtheit nicht nur in der Geschichte der thörichten und übermüthigen Streiche, sondern auch namentlich in den Annalen der Affectverbrechen verschafft haben. Ihr entspringt die Widerstandslosig- keit, mit welcher sich eine Gesellschaft Angetrunkener durch ein Schlag- wort, einen Einfall, das Beispiel zu den unsinnigsten Reactionen hinreissen lässt, ihr die Redseligkeit, die Neigung zum Lärmen, Singen, Schreien, Radaumachen, die im Einklange mit unseren früheren Erörterungen auch dann noch andauert, wenn die Erschwerung des Denkens schon deutlich ausgeprägt ist. Auf diese Seite der Alkoholwirkung ist auch wol die Er- fahrung zu beziehen, dass unter dem Einflusse des Mittels jene psychischen Hemmungen wegfallen, die wir als Zaghaftigkeit, Befangenheit, Ver- legenheit bezeichnen, dass alle die zahllosen Rücksichten ihre Macht über uns verlieren, welche sonst im menschlichen Verkehre unser Reden und Thun auf das genaueste reguliren. Wir werden unbe- fangen, muthig und rücksichtslos, wir sprechen „frei von der Leber weg“, sagen schroff unsere Meinung, ohne uns um die Wirkung unserer Worte weiter zu bekümmern, schwatzen unsere Geheimnisse aus und geben die intimsten Regungen unseres Innern ungenirt ganz gleich- gültigen und fernstehenden Personen Preis. Der gemeinsame Ursprung aller dieser Symptome des Rausches aus den elementaren Störungen, welche wir aus den Versuchsergeb- nissen abgeleitet haben, wird kaum bezweifelt werden können. Ich habe schon in meiner früheren Arbeit darauf hingewiesen, dass wir in den beiden Seiten der psychischen Umwälzung, welche der Alkohol heraufführt, zugleich die beiden Wurzeln jenes pathologischen Zustandes vor uns haben, den wir als „Unzurechnungsfähigkeit“ be- zeichnen. Der Verlust der Zurechnungsfähigkeit kann sich in doppelter Weise vollziehen; einem Menschen kann die Uebersicht über die Kraepelin, Beeinflussung. 13

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/209>, abgerufen am 25.04.2024.