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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Band sich wieder knüpfen und der verwickelte Mechanismus nunmehr
in der eingeübten Weise functioniren werde.

Wenn die hier entwickelten Anschauungen richtig sind, so werden
die Erfahrungen, die wir über die qualitative Beeinflussung der Vor-
stellungsverbindungen gemacht haben, leicht verständlich. Wir waren
zu dem Schlusse gekommen, dass der Alkohol die Auffassung und
intellectuelle Verarbeitung der äusseren Eindrücke erschwert, die Aus-
lösung von Bewegungen dagegen erleichtert. Unter diesen Umständen
müssten eben diejenigen Vorstellungsverbindungen begünstigt werden,
welche durch ein motorisches Band an einander geknüpft sind. In diese
Gruppe gehören aber in erster Linie die rein mechanisch eingeübten
Associationen. Wird durch den Alkohol das sinnliche Element, sei
es Schrift-, Laut- oder Sachbild, abgeschwächt, die sprachliche Be-
wegungsvorstellung dagegen verstärkt, so wird auch diese letztere vor
Allem den auftauchenden Associationen zur Anknüpfung dienen
müssen. So würde sich erklären, dass wir nach zwei Richtungen hin
die Vorstellungsverbindungen unter dem Alkoholeinflusse sich um-
wandeln sehen. Einmal werden begünstigt die rein mechanisch einge-
lernten, durch bestimmte, gewohnheitsmässige Bewegungscoordinationen
vermittelten Associationen, dann aber diejenigen, bei denen die Sprach-
bewegungen einander formal sehr ähnlich sind. Beide Gruppen sind
in die grosse Klasse der äusseren Associationen zu rechnen. In die erste
aber gehören alle stereotypen Vorstellungsverbindungen, die
stehenden Redensarten, Citate, Wortzusammensetzungen u. dergl. Bei
den Versuchen nach der Wiederholungsmethode waren schliesslich wol
alle Associationen in diese Gruppe übergeführt, und es war daher ein
qualitativer Einfluss des Alkohols nicht mehr bemerkbar, ja es schien
sogar, als ob die abnehmende Neigung zur Bildung neuer Ver-
bindungen in den Alkoholreihen noch ganz besonders gering gewesen
sei, in Uebereinstimmung mit den soeben entwickelten Anschauungen.
Auf der anderen Seite kann unter der Einwirkung des Alkohols bis-
weilen auch innerhalb einer Versuchsreihe eine oder die andere
Association stereotyp werden. Bietet sich irgend einer Vorstellung
zufällig Gelegenheit zur Wiederkehr, so fixirt sie sich, wie die Lern-
versuche zeigen, hier relativ leicht und drängt sich nunmehr unter
Umständen auch dort in ganz unpassender Weise immer wieder auf,
wo jede, auch die äusserlichste associative Beziehung fehlt.

Die zweite Gruppe der durch den Alkohol angeregten Asso-
ciationen ist ganz und gar nicht stereotyp. Hier handelt es sich im
Gegentheil immer um Neubildungen, die allerdings späterhin sich auch

Band sich wieder knüpfen und der verwickelte Mechanismus nunmehr
in der eingeübten Weise functioniren werde.

Wenn die hier entwickelten Anschauungen richtig sind, so werden
die Erfahrungen, die wir über die qualitative Beeinflussung der Vor-
stellungsverbindungen gemacht haben, leicht verständlich. Wir waren
zu dem Schlusse gekommen, dass der Alkohol die Auffassung und
intellectuelle Verarbeitung der äusseren Eindrücke erschwert, die Aus-
lösung von Bewegungen dagegen erleichtert. Unter diesen Umständen
müssten eben diejenigen Vorstellungsverbindungen begünstigt werden,
welche durch ein motorisches Band an einander geknüpft sind. In diese
Gruppe gehören aber in erster Linie die rein mechanisch eingeübten
Associationen. Wird durch den Alkohol das sinnliche Element, sei
es Schrift-, Laut- oder Sachbild, abgeschwächt, die sprachliche Be-
wegungsvorstellung dagegen verstärkt, so wird auch diese letztere vor
Allem den auftauchenden Associationen zur Anknüpfung dienen
müssen. So würde sich erklären, dass wir nach zwei Richtungen hin
die Vorstellungsverbindungen unter dem Alkoholeinflusse sich um-
wandeln sehen. Einmal werden begünstigt die rein mechanisch einge-
lernten, durch bestimmte, gewohnheitsmässige Bewegungscoordinationen
vermittelten Associationen, dann aber diejenigen, bei denen die Sprach-
bewegungen einander formal sehr ähnlich sind. Beide Gruppen sind
in die grosse Klasse der äusseren Associationen zu rechnen. In die erste
aber gehören alle stereotypen Vorstellungsverbindungen, die
stehenden Redensarten, Citate, Wortzusammensetzungen u. dergl. Bei
den Versuchen nach der Wiederholungsmethode waren schliesslich wol
alle Associationen in diese Gruppe übergeführt, und es war daher ein
qualitativer Einfluss des Alkohols nicht mehr bemerkbar, ja es schien
sogar, als ob die abnehmende Neigung zur Bildung neuer Ver-
bindungen in den Alkoholreihen noch ganz besonders gering gewesen
sei, in Uebereinstimmung mit den soeben entwickelten Anschauungen.
Auf der anderen Seite kann unter der Einwirkung des Alkohols bis-
weilen auch innerhalb einer Versuchsreihe eine oder die andere
Association stereotyp werden. Bietet sich irgend einer Vorstellung
zufällig Gelegenheit zur Wiederkehr, so fixirt sie sich, wie die Lern-
versuche zeigen, hier relativ leicht und drängt sich nunmehr unter
Umständen auch dort in ganz unpassender Weise immer wieder auf,
wo jede, auch die äusserlichste associative Beziehung fehlt.

Die zweite Gruppe der durch den Alkohol angeregten Asso-
ciationen ist ganz und gar nicht stereotyp. Hier handelt es sich im
Gegentheil immer um Neubildungen, die allerdings späterhin sich auch

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[191/0207] Band sich wieder knüpfen und der verwickelte Mechanismus nunmehr in der eingeübten Weise functioniren werde. Wenn die hier entwickelten Anschauungen richtig sind, so werden die Erfahrungen, die wir über die qualitative Beeinflussung der Vor- stellungsverbindungen gemacht haben, leicht verständlich. Wir waren zu dem Schlusse gekommen, dass der Alkohol die Auffassung und intellectuelle Verarbeitung der äusseren Eindrücke erschwert, die Aus- lösung von Bewegungen dagegen erleichtert. Unter diesen Umständen müssten eben diejenigen Vorstellungsverbindungen begünstigt werden, welche durch ein motorisches Band an einander geknüpft sind. In diese Gruppe gehören aber in erster Linie die rein mechanisch eingeübten Associationen. Wird durch den Alkohol das sinnliche Element, sei es Schrift-, Laut- oder Sachbild, abgeschwächt, die sprachliche Be- wegungsvorstellung dagegen verstärkt, so wird auch diese letztere vor Allem den auftauchenden Associationen zur Anknüpfung dienen müssen. So würde sich erklären, dass wir nach zwei Richtungen hin die Vorstellungsverbindungen unter dem Alkoholeinflusse sich um- wandeln sehen. Einmal werden begünstigt die rein mechanisch einge- lernten, durch bestimmte, gewohnheitsmässige Bewegungscoordinationen vermittelten Associationen, dann aber diejenigen, bei denen die Sprach- bewegungen einander formal sehr ähnlich sind. Beide Gruppen sind in die grosse Klasse der äusseren Associationen zu rechnen. In die erste aber gehören alle stereotypen Vorstellungsverbindungen, die stehenden Redensarten, Citate, Wortzusammensetzungen u. dergl. Bei den Versuchen nach der Wiederholungsmethode waren schliesslich wol alle Associationen in diese Gruppe übergeführt, und es war daher ein qualitativer Einfluss des Alkohols nicht mehr bemerkbar, ja es schien sogar, als ob die abnehmende Neigung zur Bildung neuer Ver- bindungen in den Alkoholreihen noch ganz besonders gering gewesen sei, in Uebereinstimmung mit den soeben entwickelten Anschauungen. Auf der anderen Seite kann unter der Einwirkung des Alkohols bis- weilen auch innerhalb einer Versuchsreihe eine oder die andere Association stereotyp werden. Bietet sich irgend einer Vorstellung zufällig Gelegenheit zur Wiederkehr, so fixirt sie sich, wie die Lern- versuche zeigen, hier relativ leicht und drängt sich nunmehr unter Umständen auch dort in ganz unpassender Weise immer wieder auf, wo jede, auch die äusserlichste associative Beziehung fehlt. Die zweite Gruppe der durch den Alkohol angeregten Asso- ciationen ist ganz und gar nicht stereotyp. Hier handelt es sich im Gegentheil immer um Neubildungen, die allerdings späterhin sich auch

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/207>, abgerufen am 29.03.2024.