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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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und beschleunigt finden; die Auffassungszeit kommt dabei um so
weniger in Betracht, als die Wiederholungen an sich nicht mit maximaler
Geschwindigkeit ausgeführt wurden, wie das Lesen, sondern sehr viel
langsamer. Gerade aus diesem Grunde aber ist der Ausfall der Lern-
versuche besonders interessant. Bei allen bisher besprochenen psycho-
metrischen Aufgaben bestand für die Versuchsperson von vornherein
die Forderung, möglichst rasch zu arbeiten. Die Beschleunigung der
motorischen Acte könnte daher überall wesentlich darauf bezogen
werden, dass der Ablauf der Muskelbewegung selbst durch den Alko-
hol erleichtert würde. Das allgemeine und fortdauernde Bestreben,
die motorische Aufgabe mit maximaler Geschwindigkeit zu lösen,
würde damit einfach ein rascher arbeitendes Werkzeug gefunden haben.
Für die Deutung des Verhaltens der Wiederholungen reicht indessen
diese Annahme nicht aus. Hier wurde durchaus nicht mit grösst-
möglicher Schnelligkeit gesprochen. Die Schwerfälligkeit unseres
musculären Apparates bildete nicht das wesentliche Hinderniss für
eine Steigerung der Geschwindigkeit, wie beim raschen Lesen, und ein
beschleunigter Ablauf des Sprechactes an sich konnte daher auch
nicht eine Zunahme der Wiederholungen in der Zeiteinheit bedingen.
Diese Wirkung des Alkohols kann nicht den Vorgang der Muskel-
contraction und auch kaum denjenigen der Coordination motorischer
Antriebe betreffen, sondern hier muss es sich wol um die erleichterte
Auslösung von Impulsen
selber handeln, um eine beschleunigte
Umsetzung centraler Erregungen in centrifugale. Nur unter dieser Vor-
aussetzung ist es verständlich, dass nicht nur, wie beim Lesen, die
Sprechzeit der einzelnen Silbe abnimmt, sondern dass ausserdem auch
die Geschwindigkeit ihrer Aufeinanderfolge wächst, trotzdem hier
die Aufgabe nicht schnelles Wiederholen, sondern nur schnelles
Lernen fordert.

Ein genaueres Studium dieser Verhältnisse hätte vor Allem den
Ablauf der Muskelzuckung unter der Einwirkung des Alkohols zu be-
rücksichtigen. Es wäre natürlich möglich, dass sich auch hier eine Be-
schleunigung fände, doch würde sie keinesfalls allein genügen, den Aus-
fall der Lernversuche hinsichtlich der Wiederholungen zu erklären. Viel-
leicht spricht übrigens gerade der Umstand, dass beim Lesen die Erleich-
terung durch den Alkohol deutlicher und bei höherer Dosis hervortritt, als
beim Wiederholen, dafür, dass ausser der besprochenen centralen Wirkung
auch noch eine solche auf die Coordination oder den Ablauf der Muskel-
bewegung stattfindet, welche für sich schon eine Steigerung der maxi-
malen Lesegeschwindigkeit herbeiführen könnte. Wir dürfen indessen

und beschleunigt finden; die Auffassungszeit kommt dabei um so
weniger in Betracht, als die Wiederholungen an sich nicht mit maximaler
Geschwindigkeit ausgeführt wurden, wie das Lesen, sondern sehr viel
langsamer. Gerade aus diesem Grunde aber ist der Ausfall der Lern-
versuche besonders interessant. Bei allen bisher besprochenen psycho-
metrischen Aufgaben bestand für die Versuchsperson von vornherein
die Forderung, möglichst rasch zu arbeiten. Die Beschleunigung der
motorischen Acte könnte daher überall wesentlich darauf bezogen
werden, dass der Ablauf der Muskelbewegung selbst durch den Alko-
hol erleichtert würde. Das allgemeine und fortdauernde Bestreben,
die motorische Aufgabe mit maximaler Geschwindigkeit zu lösen,
würde damit einfach ein rascher arbeitendes Werkzeug gefunden haben.
Für die Deutung des Verhaltens der Wiederholungen reicht indessen
diese Annahme nicht aus. Hier wurde durchaus nicht mit grösst-
möglicher Schnelligkeit gesprochen. Die Schwerfälligkeit unseres
musculären Apparates bildete nicht das wesentliche Hinderniss für
eine Steigerung der Geschwindigkeit, wie beim raschen Lesen, und ein
beschleunigter Ablauf des Sprechactes an sich konnte daher auch
nicht eine Zunahme der Wiederholungen in der Zeiteinheit bedingen.
Diese Wirkung des Alkohols kann nicht den Vorgang der Muskel-
contraction und auch kaum denjenigen der Coordination motorischer
Antriebe betreffen, sondern hier muss es sich wol um die erleichterte
Auslösung von Impulsen
selber handeln, um eine beschleunigte
Umsetzung centraler Erregungen in centrifugale. Nur unter dieser Vor-
aussetzung ist es verständlich, dass nicht nur, wie beim Lesen, die
Sprechzeit der einzelnen Silbe abnimmt, sondern dass ausserdem auch
die Geschwindigkeit ihrer Aufeinanderfolge wächst, trotzdem hier
die Aufgabe nicht schnelles Wiederholen, sondern nur schnelles
Lernen fordert.

Ein genaueres Studium dieser Verhältnisse hätte vor Allem den
Ablauf der Muskelzuckung unter der Einwirkung des Alkohols zu be-
rücksichtigen. Es wäre natürlich möglich, dass sich auch hier eine Be-
schleunigung fände, doch würde sie keinesfalls allein genügen, den Aus-
fall der Lernversuche hinsichtlich der Wiederholungen zu erklären. Viel-
leicht spricht übrigens gerade der Umstand, dass beim Lesen die Erleich-
terung durch den Alkohol deutlicher und bei höherer Dosis hervortritt, als
beim Wiederholen, dafür, dass ausser der besprochenen centralen Wirkung
auch noch eine solche auf die Coordination oder den Ablauf der Muskel-
bewegung stattfindet, welche für sich schon eine Steigerung der maxi-
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[184/0200] und beschleunigt finden; die Auffassungszeit kommt dabei um so weniger in Betracht, als die Wiederholungen an sich nicht mit maximaler Geschwindigkeit ausgeführt wurden, wie das Lesen, sondern sehr viel langsamer. Gerade aus diesem Grunde aber ist der Ausfall der Lern- versuche besonders interessant. Bei allen bisher besprochenen psycho- metrischen Aufgaben bestand für die Versuchsperson von vornherein die Forderung, möglichst rasch zu arbeiten. Die Beschleunigung der motorischen Acte könnte daher überall wesentlich darauf bezogen werden, dass der Ablauf der Muskelbewegung selbst durch den Alko- hol erleichtert würde. Das allgemeine und fortdauernde Bestreben, die motorische Aufgabe mit maximaler Geschwindigkeit zu lösen, würde damit einfach ein rascher arbeitendes Werkzeug gefunden haben. Für die Deutung des Verhaltens der Wiederholungen reicht indessen diese Annahme nicht aus. Hier wurde durchaus nicht mit grösst- möglicher Schnelligkeit gesprochen. Die Schwerfälligkeit unseres musculären Apparates bildete nicht das wesentliche Hinderniss für eine Steigerung der Geschwindigkeit, wie beim raschen Lesen, und ein beschleunigter Ablauf des Sprechactes an sich konnte daher auch nicht eine Zunahme der Wiederholungen in der Zeiteinheit bedingen. Diese Wirkung des Alkohols kann nicht den Vorgang der Muskel- contraction und auch kaum denjenigen der Coordination motorischer Antriebe betreffen, sondern hier muss es sich wol um die erleichterte Auslösung von Impulsen selber handeln, um eine beschleunigte Umsetzung centraler Erregungen in centrifugale. Nur unter dieser Vor- aussetzung ist es verständlich, dass nicht nur, wie beim Lesen, die Sprechzeit der einzelnen Silbe abnimmt, sondern dass ausserdem auch die Geschwindigkeit ihrer Aufeinanderfolge wächst, trotzdem hier die Aufgabe nicht schnelles Wiederholen, sondern nur schnelles Lernen fordert. Ein genaueres Studium dieser Verhältnisse hätte vor Allem den Ablauf der Muskelzuckung unter der Einwirkung des Alkohols zu be- rücksichtigen. Es wäre natürlich möglich, dass sich auch hier eine Be- schleunigung fände, doch würde sie keinesfalls allein genügen, den Aus- fall der Lernversuche hinsichtlich der Wiederholungen zu erklären. Viel- leicht spricht übrigens gerade der Umstand, dass beim Lesen die Erleich- terung durch den Alkohol deutlicher und bei höherer Dosis hervortritt, als beim Wiederholen, dafür, dass ausser der besprochenen centralen Wirkung auch noch eine solche auf die Coordination oder den Ablauf der Muskel- bewegung stattfindet, welche für sich schon eine Steigerung der maxi- malen Lesegeschwindigkeit herbeiführen könnte. Wir dürfen indessen

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/200>, abgerufen am 23.04.2024.