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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Zeiten immer wieder auf meine vor 10 Jahren begonnenen Versuche
über die Beeinflussung psychischer Vorgänge durch medicamentöse
Stoffe zurückzukommen, um dieselben nach verschiedenen Richtungen
hin nachzuprüfen und zu vervollständigen. Schon im Anfange hatte
sich mir bei dem Studium meiner Zahlenreihen der auch wieder-
holt ausgesprochene Gedanke aufgedrängt, dass durch die uncontrolir-
baren, nicht vom Medicament abhängigen Schwankungen unserer
inneren Zustände das Bild der experimentellen Veränderungen
vielfach verschleiert oder verzerrt werde. Ich wählte daher zu
meinen Versuchen in erster Linie Stoffe von so energischer Wirkung,
dass dieser letzteren gegenüber alle anderweitigen Ursachen mehr in
den Hintergrund treten mussten. Thatsächlich boten hier auch die
einzelnen Versuche, deren Zahl aus naheliegenden Gründen sich nicht
über ein gewisses Mass hinaus steigern liess, eine genügende Ueber-
einstimmung untereinander dar. Bei den Alkoholreihen indessen
stellten sich hie und da Abweichungen von dem paradigmatischen
Verhalten heraus, welche auf gelegentliche Störungen des eigentlichen
Experimentes durch "zufällige" Einflüsse hindeuteten. Allerdings
waren die Bedingungen für den Eintritt solcher Störungen bei der
zum Theil sehr langen Dauer der Beobachtungsreihen hier ungleich
günstiger als bei den früher untersuchten Inhalationsgiften, zudem die
Wirkung des Stoffes selbst eine sehr viel langsamere und weniger
intensive.

Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich naturgemäss der Wunsch,
jene Fehlerquellen nach Möglichkeit fernzuhalten. Für eine Klasse der-
selben, welche aus den äusseren Versuchsbedingungen ent-
springen, lässt sich das bei einiger Sorgfalt auch wirklich bis zu einem ge-
wissen Grade durchführen, indem man eben mit grösster Pedanterie jede
Abweichung in den äusseren Umständen und in der Technik solcher
Beobachtungsreihen vermeidet, die mit einander verglichen werden
sollen. Als besonders wichtig möchte ich in dieser Beziehung neben
den allgemein geübten Vorsichtsmassregeln die Einhaltung derselben
Tageszeit und die Gleichmässigkeit der gesammten Lebensführung in
Arbeit, Schlaf, Erholung und Nahrungsaufnahme betonen.

Weit folgenschwerer aber und trügerischer sind jene Veränderungen
nicht zufälliger Art, welche unser psychischer Zustand unabhängig von
der medicamentösen Einwirkung durch die Versuchsarbeit selber
erleidet. Wollen wir überhaupt die Schwankungen unseres Seelen-
lebens in Zahlen wiedergeben, so kann das nicht anders geschehen,
als durch periodische Aufzeichnung gewisser psychischer Leistungen,

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Zeiten immer wieder auf meine vor 10 Jahren begonnenen Versuche
über die Beeinflussung psychischer Vorgänge durch medicamentöse
Stoffe zurückzukommen, um dieselben nach verschiedenen Richtungen
hin nachzuprüfen und zu vervollständigen. Schon im Anfange hatte
sich mir bei dem Studium meiner Zahlenreihen der auch wieder-
holt ausgesprochene Gedanke aufgedrängt, dass durch die uncontrolir-
baren, nicht vom Medicament abhängigen Schwankungen unserer
inneren Zustände das Bild der experimentellen Veränderungen
vielfach verschleiert oder verzerrt werde. Ich wählte daher zu
meinen Versuchen in erster Linie Stoffe von so energischer Wirkung,
dass dieser letzteren gegenüber alle anderweitigen Ursachen mehr in
den Hintergrund treten mussten. Thatsächlich boten hier auch die
einzelnen Versuche, deren Zahl aus naheliegenden Gründen sich nicht
über ein gewisses Mass hinaus steigern liess, eine genügende Ueber-
einstimmung untereinander dar. Bei den Alkoholreihen indessen
stellten sich hie und da Abweichungen von dem paradigmatischen
Verhalten heraus, welche auf gelegentliche Störungen des eigentlichen
Experimentes durch „zufällige“ Einflüsse hindeuteten. Allerdings
waren die Bedingungen für den Eintritt solcher Störungen bei der
zum Theil sehr langen Dauer der Beobachtungsreihen hier ungleich
günstiger als bei den früher untersuchten Inhalationsgiften, zudem die
Wirkung des Stoffes selbst eine sehr viel langsamere und weniger
intensive.

Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich naturgemäss der Wunsch,
jene Fehlerquellen nach Möglichkeit fernzuhalten. Für eine Klasse der-
selben, welche aus den äusseren Versuchsbedingungen ent-
springen, lässt sich das bei einiger Sorgfalt auch wirklich bis zu einem ge-
wissen Grade durchführen, indem man eben mit grösster Pedanterie jede
Abweichung in den äusseren Umständen und in der Technik solcher
Beobachtungsreihen vermeidet, die mit einander verglichen werden
sollen. Als besonders wichtig möchte ich in dieser Beziehung neben
den allgemein geübten Vorsichtsmassregeln die Einhaltung derselben
Tageszeit und die Gleichmässigkeit der gesammten Lebensführung in
Arbeit, Schlaf, Erholung und Nahrungsaufnahme betonen.

Weit folgenschwerer aber und trügerischer sind jene Veränderungen
nicht zufälliger Art, welche unser psychischer Zustand unabhängig von
der medicamentösen Einwirkung durch die Versuchsarbeit selber
erleidet. Wollen wir überhaupt die Schwankungen unseres Seelen-
lebens in Zahlen wiedergeben, so kann das nicht anders geschehen,
als durch periodische Aufzeichnung gewisser psychischer Leistungen,

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[3/0019] Zeiten immer wieder auf meine vor 10 Jahren begonnenen Versuche über die Beeinflussung psychischer Vorgänge durch medicamentöse Stoffe zurückzukommen, um dieselben nach verschiedenen Richtungen hin nachzuprüfen und zu vervollständigen. Schon im Anfange hatte sich mir bei dem Studium meiner Zahlenreihen der auch wieder- holt ausgesprochene Gedanke aufgedrängt, dass durch die uncontrolir- baren, nicht vom Medicament abhängigen Schwankungen unserer inneren Zustände das Bild der experimentellen Veränderungen vielfach verschleiert oder verzerrt werde. Ich wählte daher zu meinen Versuchen in erster Linie Stoffe von so energischer Wirkung, dass dieser letzteren gegenüber alle anderweitigen Ursachen mehr in den Hintergrund treten mussten. Thatsächlich boten hier auch die einzelnen Versuche, deren Zahl aus naheliegenden Gründen sich nicht über ein gewisses Mass hinaus steigern liess, eine genügende Ueber- einstimmung untereinander dar. Bei den Alkoholreihen indessen stellten sich hie und da Abweichungen von dem paradigmatischen Verhalten heraus, welche auf gelegentliche Störungen des eigentlichen Experimentes durch „zufällige“ Einflüsse hindeuteten. Allerdings waren die Bedingungen für den Eintritt solcher Störungen bei der zum Theil sehr langen Dauer der Beobachtungsreihen hier ungleich günstiger als bei den früher untersuchten Inhalationsgiften, zudem die Wirkung des Stoffes selbst eine sehr viel langsamere und weniger intensive. Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich naturgemäss der Wunsch, jene Fehlerquellen nach Möglichkeit fernzuhalten. Für eine Klasse der- selben, welche aus den äusseren Versuchsbedingungen ent- springen, lässt sich das bei einiger Sorgfalt auch wirklich bis zu einem ge- wissen Grade durchführen, indem man eben mit grösster Pedanterie jede Abweichung in den äusseren Umständen und in der Technik solcher Beobachtungsreihen vermeidet, die mit einander verglichen werden sollen. Als besonders wichtig möchte ich in dieser Beziehung neben den allgemein geübten Vorsichtsmassregeln die Einhaltung derselben Tageszeit und die Gleichmässigkeit der gesammten Lebensführung in Arbeit, Schlaf, Erholung und Nahrungsaufnahme betonen. Weit folgenschwerer aber und trügerischer sind jene Veränderungen nicht zufälliger Art, welche unser psychischer Zustand unabhängig von der medicamentösen Einwirkung durch die Versuchsarbeit selber erleidet. Wollen wir überhaupt die Schwankungen unseres Seelen- lebens in Zahlen wiedergeben, so kann das nicht anders geschehen, als durch periodische Aufzeichnung gewisser psychischer Leistungen, 1*

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/19>, abgerufen am 19.03.2024.