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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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würde im letzteren Falle der Beginn der Chloralwirkung etwa 10 Mi-
nuten nach dem Einnehmen des Mittels zu setzen und die Rückkehr
zu normalen Werthen um die gleiche Zeit weiter hinauszuschieben
sein. Unter dieser Voraussetzung würde eine grössere Uebereinstim-
mung des Versuches nicht nur mit der subjectiven Erfahrung, die für
ein langsameres Eintreten der Müdigkeit spricht, sondern auch mit
der folgenden Beobachtungsreihe bestehen, in welcher die deutliche
und beträchtliche Verlängerung der Werthe ebenfalls erst nach einiger
Zeit bemerkbar wird. Der Beginn dieser Erscheinung ist hier aller-
dings wegen der eingeschobenen langen Pause von 8 Minuten nicht
aufgezeichnet worden; er liegt 6--14 Minuten nach dem Einnehmen
des Mittels. Leider ist der Versuch auch nicht lange genug fortgeführt
worden. Die Höhe der Wirkung war zwar anscheinend nach 14--20
Minuten bereits überschritten, aber wir sehen nach vorübergehend
etwas kürzeren Zahlen eine neuerliche, wenn auch geringere Verlang-
samung des Wahlactes auftreten, die nach 38 Minuten noch fortbe-
stand. Die Ausgiebigkeit der Verlängerung ist hier ungleich grösser,
als bei der einfachen Reaction, auch wenn wir sie im Verhältnisse zu
der absoluten Dauer der gemessenen Vorgänge betrachten. Es ist
aber auch erklärlich, dass ein verwickelterer und die Aufmerksamkeit
sehr in Anspruch nehmender Process dem lähmenden Einflusse des
Chloralhydrates in weit höherem Masse zugänglich sein muss, als die
ganz mechanisch sich abspielende einfache Reaction. Irgend welche
weiter gehenden Schlüsse verbieten sich, so lange nicht ausgedehnte
Parallelversuche mit anderen Reactionsformen vorliegen. Nur darauf
sei hingewiesen, dass sich, wenigstens bei der gewählten mittelgrossen
Dosis, jedenfalls keine Neigung zur Verkürzung der Wahlzeiten heraus-
gestellt hat, wie beim Paraldehyd.

Allerdings waren hier von Anfang an die Wahlzeiten ausser-
ordentlich viel kürzer, als bei den Versuchen mit Paraldehyd. Der
Grund dafür liegt in dem Umstande, dass ich zur Zeit der Normal-
versuche täglich, bisweilen sogar mehrmals, experimentirte, während
den Beobachtungen mit Paraldehyd eine 1--11/2 jährige Pause vorauf-
gegangen war, in der ich keinerlei psychische Zeitmessungen vorge-
nommen hatte. Es wäre daher denkbar, dass bei jenen ersteren die
durch Uebung sehr kurz gewordenen Wahlreactionen nicht wol mehr
weiter hätten verkürzt werden können. Allein es sprechen andere
Gründe dafür, dass in der That hier keine Erleichterung des Wahl-
actes stattgefunden hat. Zunächst kann die sehr erhebliche Verlän-
gerung der Zahlen nicht wol allein auf eine Erschwerung der hier

würde im letzteren Falle der Beginn der Chloralwirkung etwa 10 Mi-
nuten nach dem Einnehmen des Mittels zu setzen und die Rückkehr
zu normalen Werthen um die gleiche Zeit weiter hinauszuschieben
sein. Unter dieser Voraussetzung würde eine grössere Uebereinstim-
mung des Versuches nicht nur mit der subjectiven Erfahrung, die für
ein langsameres Eintreten der Müdigkeit spricht, sondern auch mit
der folgenden Beobachtungsreihe bestehen, in welcher die deutliche
und beträchtliche Verlängerung der Werthe ebenfalls erst nach einiger
Zeit bemerkbar wird. Der Beginn dieser Erscheinung ist hier aller-
dings wegen der eingeschobenen langen Pause von 8 Minuten nicht
aufgezeichnet worden; er liegt 6—14 Minuten nach dem Einnehmen
des Mittels. Leider ist der Versuch auch nicht lange genug fortgeführt
worden. Die Höhe der Wirkung war zwar anscheinend nach 14—20
Minuten bereits überschritten, aber wir sehen nach vorübergehend
etwas kürzeren Zahlen eine neuerliche, wenn auch geringere Verlang-
samung des Wahlactes auftreten, die nach 38 Minuten noch fortbe-
stand. Die Ausgiebigkeit der Verlängerung ist hier ungleich grösser,
als bei der einfachen Reaction, auch wenn wir sie im Verhältnisse zu
der absoluten Dauer der gemessenen Vorgänge betrachten. Es ist
aber auch erklärlich, dass ein verwickelterer und die Aufmerksamkeit
sehr in Anspruch nehmender Process dem lähmenden Einflusse des
Chloralhydrates in weit höherem Masse zugänglich sein muss, als die
ganz mechanisch sich abspielende einfache Reaction. Irgend welche
weiter gehenden Schlüsse verbieten sich, so lange nicht ausgedehnte
Parallelversuche mit anderen Reactionsformen vorliegen. Nur darauf
sei hingewiesen, dass sich, wenigstens bei der gewählten mittelgrossen
Dosis, jedenfalls keine Neigung zur Verkürzung der Wahlzeiten heraus-
gestellt hat, wie beim Paraldehyd.

Allerdings waren hier von Anfang an die Wahlzeiten ausser-
ordentlich viel kürzer, als bei den Versuchen mit Paraldehyd. Der
Grund dafür liegt in dem Umstande, dass ich zur Zeit der Normal-
versuche täglich, bisweilen sogar mehrmals, experimentirte, während
den Beobachtungen mit Paraldehyd eine 1—1½ jährige Pause vorauf-
gegangen war, in der ich keinerlei psychische Zeitmessungen vorge-
nommen hatte. Es wäre daher denkbar, dass bei jenen ersteren die
durch Uebung sehr kurz gewordenen Wahlreactionen nicht wol mehr
weiter hätten verkürzt werden können. Allein es sprechen andere
Gründe dafür, dass in der That hier keine Erleichterung des Wahl-
actes stattgefunden hat. Zunächst kann die sehr erhebliche Verlän-
gerung der Zahlen nicht wol allein auf eine Erschwerung der hier

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[162/0178] würde im letzteren Falle der Beginn der Chloralwirkung etwa 10 Mi- nuten nach dem Einnehmen des Mittels zu setzen und die Rückkehr zu normalen Werthen um die gleiche Zeit weiter hinauszuschieben sein. Unter dieser Voraussetzung würde eine grössere Uebereinstim- mung des Versuches nicht nur mit der subjectiven Erfahrung, die für ein langsameres Eintreten der Müdigkeit spricht, sondern auch mit der folgenden Beobachtungsreihe bestehen, in welcher die deutliche und beträchtliche Verlängerung der Werthe ebenfalls erst nach einiger Zeit bemerkbar wird. Der Beginn dieser Erscheinung ist hier aller- dings wegen der eingeschobenen langen Pause von 8 Minuten nicht aufgezeichnet worden; er liegt 6—14 Minuten nach dem Einnehmen des Mittels. Leider ist der Versuch auch nicht lange genug fortgeführt worden. Die Höhe der Wirkung war zwar anscheinend nach 14—20 Minuten bereits überschritten, aber wir sehen nach vorübergehend etwas kürzeren Zahlen eine neuerliche, wenn auch geringere Verlang- samung des Wahlactes auftreten, die nach 38 Minuten noch fortbe- stand. Die Ausgiebigkeit der Verlängerung ist hier ungleich grösser, als bei der einfachen Reaction, auch wenn wir sie im Verhältnisse zu der absoluten Dauer der gemessenen Vorgänge betrachten. Es ist aber auch erklärlich, dass ein verwickelterer und die Aufmerksamkeit sehr in Anspruch nehmender Process dem lähmenden Einflusse des Chloralhydrates in weit höherem Masse zugänglich sein muss, als die ganz mechanisch sich abspielende einfache Reaction. Irgend welche weiter gehenden Schlüsse verbieten sich, so lange nicht ausgedehnte Parallelversuche mit anderen Reactionsformen vorliegen. Nur darauf sei hingewiesen, dass sich, wenigstens bei der gewählten mittelgrossen Dosis, jedenfalls keine Neigung zur Verkürzung der Wahlzeiten heraus- gestellt hat, wie beim Paraldehyd. Allerdings waren hier von Anfang an die Wahlzeiten ausser- ordentlich viel kürzer, als bei den Versuchen mit Paraldehyd. Der Grund dafür liegt in dem Umstande, dass ich zur Zeit der Normal- versuche täglich, bisweilen sogar mehrmals, experimentirte, während den Beobachtungen mit Paraldehyd eine 1—1½ jährige Pause vorauf- gegangen war, in der ich keinerlei psychische Zeitmessungen vorge- nommen hatte. Es wäre daher denkbar, dass bei jenen ersteren die durch Uebung sehr kurz gewordenen Wahlreactionen nicht wol mehr weiter hätten verkürzt werden können. Allein es sprechen andere Gründe dafür, dass in der That hier keine Erleichterung des Wahl- actes stattgefunden hat. Zunächst kann die sehr erhebliche Verlän- gerung der Zahlen nicht wol allein auf eine Erschwerung der hier

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/178>, abgerufen am 19.04.2024.