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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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war eine würdige Vorbereitung auf den Anblick von
Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal
von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu-
schigten Hügel uns bescheiden winkte. Als wir uns nä-
herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau
auf den Anhöhen unter den Bäumen, oder als gutmüthi-
gen Zuschauer neben den Tanzplätzen der Bauern. Das
Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswürdi-
gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein-
fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und
ein junges Mädchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan-
den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher
Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer führte, dessen
Tapeten noch die nämlichen sind, wie zu seiner Zeit.
Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor-
chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich
zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten-
faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand
auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em-
pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen
mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm
auch gleich die Sprache. Für die Gegenwart gab der
Himmel uns Töne, für die Vergangenheit nur Seuf-
zer.
-- Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie
war so zahm, so gut -- wir öffneten ihr vergebens
das Fenster. Gern hätten wir an die Seelenwanderung
geglaubt.

Wir stiegen hinab in das Gärtchen, wo Rousseau
oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht
seine Büste hinter einer Glasthür, darunter ein artiger
Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die
vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen

war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von
Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal
von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu-
schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ-
herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau
auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi-
gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das
Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi-
gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein-
fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und
ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan-
den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher
Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen
Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit.
Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor-
chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich
zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten-
faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand
auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em-
pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen
mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm
auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der
Himmel uns Toͤne, fuͤr die Vergangenheit nur Seuf-
zer.
— Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie
war so zahm, so gut — wir oͤffneten ihr vergebens
das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung
geglaubt.

Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau
oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht
seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger
Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die
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[8/0008] war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu- schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ- herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi- gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi- gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein- fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan- den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit. Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor- chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten- faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em- pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der Himmel uns Toͤne, fuͤr die Vergangenheit nur Seuf- zer. — Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie war so zahm, so gut — wir oͤffneten ihr vergebens das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung geglaubt. Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/8>, abgerufen am 29.03.2024.