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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Vogelei.
thierei gleichstellt, wobei das Keimbläschen des einen genau dem
des andern Eies entsprechen würde, allein ganz verfehlt ist der Ver-
gleich des gelben Vogeldotters und der ihn umgebenden Theile mit
dem Corpus luteum, die Parallelisirung dieses ganz und gar aus
Bindegewebe mit Blutgefässen bestehenden Gebildes mit den ganz
verschiedenen Dotterbläschen und ihrer Begrenzungshaut. Allen
Thomson
, dessen vortrefflichen Artikel "Ovum" ich Ihnen heute
vorgelegt habe, spricht sich, den Missgriff Meckel's vermeidend,
dahin aus, dass das Dotterepithel des Eierstockseies des Huhnes der
Membrana granulosa oder dem Epithel des Folliculus graafianus
gleichkomme und dass der gelbe Dotter von dieser Zellenschicht
aus gebildet werde, somit eine Epithelialproduction sei, welche nach
und nach um den weissen Dotter sich anlege. Nach Meckel, dem
Thomson beistimmt, besitzt das Keimbläschen und der weisse Dotter
ursprünglich eine dicke Begrenzungshaut, welche die eigentliche
Dotterhaut darstelle; was gewöhnlich Dotterhaut des Vogeleies ge-
nannt werde, das sei nur eine secundäre Membran, die sich aussen
auf der den gelben Dotter begrenzenden Epithelialschicht nieder-
schlage. Ausserhalb dieser Haut bleibe dann übrigens noch eine
Lage Zellen und diese sei das Epithel des reifen Eisäckchens des
Hühnereies.

Die ganze Angelegenheit dreht sich, wie Sie erkennen werden,
wesentlich um den Nachweis der "eigentlichen Dotterhaut" von
Meckel; mit dem Nachweis des Mangels oder des Vorkommens der-
selben fällt oder steht die ganze Lehre. Nun diese eigentliche Dot-
terhaut hat Niemand sonst finden können. Ich habe vor einigen
Jahren mit einem meiner Zuhörer, Herrn Samter, Untersuchungen
über die Entwicklung des Vogeleies begonnen, welche dieser dann
selbständig weiter geführt und in seiner Dissertation beschrieben
hat (Nonnulla de ovi avium evolutione, Halis 1853). Samter und ich
selbst sind zur Ueberzeugung gelangt, dass eine solche eigentliche
Dotterhaut um den weissen Dotter und das Keimbläschen zu keiner
Zeit existirt, dass dagegen schon die jüngsten Eier die Membran be-
sitzen, die sich nach Thomson secundär auf der innern Lage der sich
spaltenden Membrana granulosa ablagern soll. Ebenso hat ein Schü-
ler Reichert's, Hoyer, bei seinen Nachforschungen (Müll. Arch. 1857)
diese innere Dotterhaut nicht finden können. Diesem zufolge kön-
nen wir, trotz dem, dass auch ein so umsichtiger Forscher, wie
A. Ecker an Meckel und Thomson sich angeschlossen hat (Icon. phys.

Vogelei.
thierei gleichstellt, wobei das Keimbläschen des einen genau dem
des andern Eies entsprechen würde, allein ganz verfehlt ist der Ver-
gleich des gelben Vogeldotters und der ihn umgebenden Theile mit
dem Corpus luteum, die Parallelisirung dieses ganz und gar aus
Bindegewebe mit Blutgefässen bestehenden Gebildes mit den ganz
verschiedenen Dotterbläschen und ihrer Begrenzungshaut. Allen
Thomson
, dessen vortrefflichen Artikel »Ovum« ich Ihnen heute
vorgelegt habe, spricht sich, den Missgriff Meckel’s vermeidend,
dahin aus, dass das Dotterepithel des Eierstockseies des Huhnes der
Membrana granulosa oder dem Epithel des Folliculus graafianus
gleichkomme und dass der gelbe Dotter von dieser Zellenschicht
aus gebildet werde, somit eine Epithelialproduction sei, welche nach
und nach um den weissen Dotter sich anlege. Nach Meckel, dem
Thomson beistimmt, besitzt das Keimbläschen und der weisse Dotter
ursprünglich eine dicke Begrenzungshaut, welche die eigentliche
Dotterhaut darstelle; was gewöhnlich Dotterhaut des Vogeleies ge-
nannt werde, das sei nur eine secundäre Membran, die sich aussen
auf der den gelben Dotter begrenzenden Epithelialschicht nieder-
schlage. Ausserhalb dieser Haut bleibe dann übrigens noch eine
Lage Zellen und diese sei das Epithel des reifen Eisäckchens des
Hühnereies.

Die ganze Angelegenheit dreht sich, wie Sie erkennen werden,
wesentlich um den Nachweis der »eigentlichen Dotterhaut« von
Meckel; mit dem Nachweis des Mangels oder des Vorkommens der-
selben fällt oder steht die ganze Lehre. Nun diese eigentliche Dot-
terhaut hat Niemand sonst finden können. Ich habe vor einigen
Jahren mit einem meiner Zuhörer, Herrn Samter, Untersuchungen
über die Entwicklung des Vogeleies begonnen, welche dieser dann
selbständig weiter geführt und in seiner Dissertation beschrieben
hat (Nonnulla de ovi avium evolutione, Halis 1853). Samter und ich
selbst sind zur Ueberzeugung gelangt, dass eine solche eigentliche
Dotterhaut um den weissen Dotter und das Keimbläschen zu keiner
Zeit existirt, dass dagegen schon die jüngsten Eier die Membran be-
sitzen, die sich nach Thomson secundär auf der innern Lage der sich
spaltenden Membrana granulosa ablagern soll. Ebenso hat ein Schü-
ler Reichert’s, Hoyer, bei seinen Nachforschungen (Müll. Arch. 1857)
diese innere Dotterhaut nicht finden können. Diesem zufolge kön-
nen wir, trotz dem, dass auch ein so umsichtiger Forscher, wie
A. Ecker an Meckel und Thomson sich angeschlossen hat (Icon. phys.

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[27/0043] Vogelei. thierei gleichstellt, wobei das Keimbläschen des einen genau dem des andern Eies entsprechen würde, allein ganz verfehlt ist der Ver- gleich des gelben Vogeldotters und der ihn umgebenden Theile mit dem Corpus luteum, die Parallelisirung dieses ganz und gar aus Bindegewebe mit Blutgefässen bestehenden Gebildes mit den ganz verschiedenen Dotterbläschen und ihrer Begrenzungshaut. Allen Thomson, dessen vortrefflichen Artikel »Ovum« ich Ihnen heute vorgelegt habe, spricht sich, den Missgriff Meckel’s vermeidend, dahin aus, dass das Dotterepithel des Eierstockseies des Huhnes der Membrana granulosa oder dem Epithel des Folliculus graafianus gleichkomme und dass der gelbe Dotter von dieser Zellenschicht aus gebildet werde, somit eine Epithelialproduction sei, welche nach und nach um den weissen Dotter sich anlege. Nach Meckel, dem Thomson beistimmt, besitzt das Keimbläschen und der weisse Dotter ursprünglich eine dicke Begrenzungshaut, welche die eigentliche Dotterhaut darstelle; was gewöhnlich Dotterhaut des Vogeleies ge- nannt werde, das sei nur eine secundäre Membran, die sich aussen auf der den gelben Dotter begrenzenden Epithelialschicht nieder- schlage. Ausserhalb dieser Haut bleibe dann übrigens noch eine Lage Zellen und diese sei das Epithel des reifen Eisäckchens des Hühnereies. Die ganze Angelegenheit dreht sich, wie Sie erkennen werden, wesentlich um den Nachweis der »eigentlichen Dotterhaut« von Meckel; mit dem Nachweis des Mangels oder des Vorkommens der- selben fällt oder steht die ganze Lehre. Nun diese eigentliche Dot- terhaut hat Niemand sonst finden können. Ich habe vor einigen Jahren mit einem meiner Zuhörer, Herrn Samter, Untersuchungen über die Entwicklung des Vogeleies begonnen, welche dieser dann selbständig weiter geführt und in seiner Dissertation beschrieben hat (Nonnulla de ovi avium evolutione, Halis 1853). Samter und ich selbst sind zur Ueberzeugung gelangt, dass eine solche eigentliche Dotterhaut um den weissen Dotter und das Keimbläschen zu keiner Zeit existirt, dass dagegen schon die jüngsten Eier die Membran be- sitzen, die sich nach Thomson secundär auf der innern Lage der sich spaltenden Membrana granulosa ablagern soll. Ebenso hat ein Schü- ler Reichert’s, Hoyer, bei seinen Nachforschungen (Müll. Arch. 1857) diese innere Dotterhaut nicht finden können. Diesem zufolge kön- nen wir, trotz dem, dass auch ein so umsichtiger Forscher, wie A. Ecker an Meckel und Thomson sich angeschlossen hat (Icon. phys.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/43>, abgerufen am 25.04.2024.