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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Zweite Vorlesung.
als auch der Gediegenheit und Grösse der allgemeinen Betrachtungen
halber unbedingt als das Beste bezeichnet werden, was die em-
bryologische Literatur aller Zeiten und Völker aufzuweisen hat.

Die Leistungen v. Baer's im Einzelnen so namhaft zu machen,
wie sie es verdienen, ist hier ganz unmöglich und beschränke ich
mich auf folgendes. Das Thatsächliche anlangend, so geben seine
Arbeiten einmal die erste vollständige und bis ins Einzelne durch-
geführte Untersuchung über die Entwicklung des Hühnchens und
stellen zweitens auch diejenige der übrigen Wirbelthiere in einer
Weise dar, wie sie noch nicht dagewesen war, so dass er als der
eigentliche Schöpfer der vergleichenden Embryologie zu betrachten
ist. Wollte man v. Baer's Entdeckungen besonders hervorheben,
so müsste man System für System, Organ für Organ aufzählen, in-
dem sein Scharfblick und seine Ausdauer überall Neues zu Tage
förderte, und begnüge ich mich daher nur zwei seiner wichtig-
sten Funde, die des wahren Ovulum der Säugethiere (S. de Ovi
mammalium et hominis genesi
. Lipsiae 1827) und der Chorda dorsalis
zu erwähnen. Ebenso gross als in der Beobachtung war v. Baer
auch in seinen Reflexionen, und gebe ich Ihnen hier eine kurze
Skizze seiner theoretischen Auffassungen. Anschliessend an Pander
lässt auch v. Baer in dem ursprünglich einfachen Keime durch Son-
derung Blätter entstehen, doch weicht er im Einzelnen erheblich von
Pander ab. Zwar spricht er anfänglich auch von einem serösen
Blatte, einem Schleimblatte und einem Gefässblatte, verfolgt
man jedoch seine Darstellung genau, so findet man, dass er nicht
dasselbe meint wie Pander. Nach v. Baer nämlich ist der Keim in
der ersten Zeit wohl an seinen Oberflächen von verschiedener Be-
schaffenheit, aussen glatt, innen mehr körnig, aber nicht in Schich-
ten spaltbar und namentlich in seinem Innern nicht differenzirt.
Später erst macht sich eine Trennung in zwei Lagen, eine animale
und vegetative, bemerklich, von denen jede wieder aus zwei
Schichten besteht, die erste aus der Hautschicht und der
Fleischschicht, die letztere aus der Gefässschicht und der
Schleimschicht. Aus diesen Schichten entwickeln sich dann in
zweiter Linie, was v. Baer Fundamentalorgane nennt (Bd. I.
Scholion III. p. 153 und Scholion IV. p. 160. Bd. II. p. 67 u. fgde.),
welche nach ihm die Form von Röhren haben. So bildet die Haut-
schicht die Hautröhre und die Röhre des centralen Nervensystems,
von welch letzterer v. Baer zwar die allererste Entwicklung nicht

Zweite Vorlesung.
als auch der Gediegenheit und Grösse der allgemeinen Betrachtungen
halber unbedingt als das Beste bezeichnet werden, was die em-
bryologische Literatur aller Zeiten und Völker aufzuweisen hat.

Die Leistungen v. Baer’s im Einzelnen so namhaft zu machen,
wie sie es verdienen, ist hier ganz unmöglich und beschränke ich
mich auf folgendes. Das Thatsächliche anlangend, so geben seine
Arbeiten einmal die erste vollständige und bis ins Einzelne durch-
geführte Untersuchung über die Entwicklung des Hühnchens und
stellen zweitens auch diejenige der übrigen Wirbelthiere in einer
Weise dar, wie sie noch nicht dagewesen war, so dass er als der
eigentliche Schöpfer der vergleichenden Embryologie zu betrachten
ist. Wollte man v. Baer’s Entdeckungen besonders hervorheben,
so müsste man System für System, Organ für Organ aufzählen, in-
dem sein Scharfblick und seine Ausdauer überall Neues zu Tage
förderte, und begnüge ich mich daher nur zwei seiner wichtig-
sten Funde, die des wahren Ovulum der Säugethiere (S. de Ovi
mammalium et hominis genesi
. Lipsiae 1827) und der Chorda dorsalis
zu erwähnen. Ebenso gross als in der Beobachtung war v. Baer
auch in seinen Reflexionen, und gebe ich Ihnen hier eine kurze
Skizze seiner theoretischen Auffassungen. Anschliessend an Pander
lässt auch v. Baer in dem ursprünglich einfachen Keime durch Son-
derung Blätter entstehen, doch weicht er im Einzelnen erheblich von
Pander ab. Zwar spricht er anfänglich auch von einem serösen
Blatte, einem Schleimblatte und einem Gefässblatte, verfolgt
man jedoch seine Darstellung genau, so findet man, dass er nicht
dasselbe meint wie Pander. Nach v. Baer nämlich ist der Keim in
der ersten Zeit wohl an seinen Oberflächen von verschiedener Be-
schaffenheit, aussen glatt, innen mehr körnig, aber nicht in Schich-
ten spaltbar und namentlich in seinem Innern nicht differenzirt.
Später erst macht sich eine Trennung in zwei Lagen, eine animale
und vegetative, bemerklich, von denen jede wieder aus zwei
Schichten besteht, die erste aus der Hautschicht und der
Fleischschicht, die letztere aus der Gefässschicht und der
Schleimschicht. Aus diesen Schichten entwickeln sich dann in
zweiter Linie, was v. Baer Fundamentalorgane nennt (Bd. I.
Scholion III. p. 153 und Scholion IV. p. 160. Bd. II. p. 67 u. fgde.),
welche nach ihm die Form von Röhren haben. So bildet die Haut-
schicht die Hautröhre und die Röhre des centralen Nervensystems,
von welch letzterer v. Baer zwar die allererste Entwicklung nicht

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[10/0026] Zweite Vorlesung. als auch der Gediegenheit und Grösse der allgemeinen Betrachtungen halber unbedingt als das Beste bezeichnet werden, was die em- bryologische Literatur aller Zeiten und Völker aufzuweisen hat. Die Leistungen v. Baer’s im Einzelnen so namhaft zu machen, wie sie es verdienen, ist hier ganz unmöglich und beschränke ich mich auf folgendes. Das Thatsächliche anlangend, so geben seine Arbeiten einmal die erste vollständige und bis ins Einzelne durch- geführte Untersuchung über die Entwicklung des Hühnchens und stellen zweitens auch diejenige der übrigen Wirbelthiere in einer Weise dar, wie sie noch nicht dagewesen war, so dass er als der eigentliche Schöpfer der vergleichenden Embryologie zu betrachten ist. Wollte man v. Baer’s Entdeckungen besonders hervorheben, so müsste man System für System, Organ für Organ aufzählen, in- dem sein Scharfblick und seine Ausdauer überall Neues zu Tage förderte, und begnüge ich mich daher nur zwei seiner wichtig- sten Funde, die des wahren Ovulum der Säugethiere (S. de Ovi mammalium et hominis genesi. Lipsiae 1827) und der Chorda dorsalis zu erwähnen. Ebenso gross als in der Beobachtung war v. Baer auch in seinen Reflexionen, und gebe ich Ihnen hier eine kurze Skizze seiner theoretischen Auffassungen. Anschliessend an Pander lässt auch v. Baer in dem ursprünglich einfachen Keime durch Son- derung Blätter entstehen, doch weicht er im Einzelnen erheblich von Pander ab. Zwar spricht er anfänglich auch von einem serösen Blatte, einem Schleimblatte und einem Gefässblatte, verfolgt man jedoch seine Darstellung genau, so findet man, dass er nicht dasselbe meint wie Pander. Nach v. Baer nämlich ist der Keim in der ersten Zeit wohl an seinen Oberflächen von verschiedener Be- schaffenheit, aussen glatt, innen mehr körnig, aber nicht in Schich- ten spaltbar und namentlich in seinem Innern nicht differenzirt. Später erst macht sich eine Trennung in zwei Lagen, eine animale und vegetative, bemerklich, von denen jede wieder aus zwei Schichten besteht, die erste aus der Hautschicht und der Fleischschicht, die letztere aus der Gefässschicht und der Schleimschicht. Aus diesen Schichten entwickeln sich dann in zweiter Linie, was v. Baer Fundamentalorgane nennt (Bd. I. Scholion III. p. 153 und Scholion IV. p. 160. Bd. II. p. 67 u. fgde.), welche nach ihm die Form von Röhren haben. So bildet die Haut- schicht die Hautröhre und die Röhre des centralen Nervensystems, von welch letzterer v. Baer zwar die allererste Entwicklung nicht

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/26>, abgerufen am 29.03.2024.