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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Historische Einleitung.
aber Wolff durch seine theoretischen Betrachtungen, durch den
allgemeinen Standpunct, den er einnahm. Wolff ist der Entdecker
der Metamorphose der Pflanzen und nicht Göthe, was dieser selbst
anerkennt, und hat er als junger Mann von 26 Jahren in seiner Dis-
sertation diese Lehre in ihrem ganzen Umfange vorgetragen. Die
Zurückführung aller wesentlichen Pflanzentheile mit Ausnahme des
Stengels auf das Blatt musste ihn natürlich auf den Gedanken brin-
gen, auch die Generationstheorie der Thiere in ähnlicher Weise zu
entwickeln. Er findet jedoch bald, dass, bei der grossen Verschie-
denheit der Organe, Ein Primitivorgan analog dem Blatte hier nicht
ausreicht und unmöglich vorhanden sein kann. Bei weiterer Ver-
folgung dieser Angelegenheit nun fällt ihm die Aehnlichkeit der er-
sten Anlage des Darmes mit derjenigen des Nervensystemes, des
Gefässsystemes, der Fleischmasse und des gesammten Keimes über-
haupt auf (Ueber die Bildung des Darmkanals St. 141), und so
kommt er schliesslich (1. c. St. 157) zu folgendem merkwürdigen
Ausspruche, in dem die ganze neuere Lehre von dem Aufbaue des
Leibes aus mehrfachen blattartigen Primitivorganen im Keime an-
gedeutet ist: "Diese nicht etwa eingebildete, sondern auf den sicher-
sten Beobachtungen begründete und höchst wunderbare Analogie
von Theilen, die in ihrer Natur so sehr von einander abweichen,
verdient die Aufmerksamkeit der Physiologen im höchsten Grade,
indem man leicht zugeben wird, dass sie einen tiefen Sinn hat und
in der engsten Beziehung mit der Erzeugung und der Natur der
Thiere steht. Es scheint, als würden zu verschiedenen Zeiten und
mehrere Male hinter einander nach einem und demselben Typus ver-
schiedene Systeme, aus welchen dann ein ganzes Thier wird, gebil-
det, und als wären diese darum einander ähnlich, wenn sie gleich
ihrem Wesen nach verschieden sind. Das System, welches zuerst
erzeugt wird, zuerst eine bestimmte eigenthümliche Gestalt annimmt,
ist das Nervensystem. Ist dieses vollendet, so bildet sich die Fleisch-
masse, welche eigentlich den Embryo ausmacht, nach demselben
Typus .... Darauf erscheint ein drittes, das Gefässsystem, das
gewiss .... den ersteren nicht so unähnlich ist, dass nicht die, als
allen Systemen als gemeinsam zukommend beschriebene Form, in
ihm leicht erkannt würde. Auf dieses folgt das vierte, der Darmka-
nal, der wieder nach demselben Typus gebildet wird, und als ein
vollendetes, in sich geschlossenes Ganze den drei ersten ähnlich er-
scheint."


Historische Einleitung.
aber Wolff durch seine theoretischen Betrachtungen, durch den
allgemeinen Standpunct, den er einnahm. Wolff ist der Entdecker
der Metamorphose der Pflanzen und nicht Göthe, was dieser selbst
anerkennt, und hat er als junger Mann von 26 Jahren in seiner Dis-
sertation diese Lehre in ihrem ganzen Umfange vorgetragen. Die
Zurückführung aller wesentlichen Pflanzentheile mit Ausnahme des
Stengels auf das Blatt musste ihn natürlich auf den Gedanken brin-
gen, auch die Generationstheorie der Thiere in ähnlicher Weise zu
entwickeln. Er findet jedoch bald, dass, bei der grossen Verschie-
denheit der Organe, Ein Primitivorgan analog dem Blatte hier nicht
ausreicht und unmöglich vorhanden sein kann. Bei weiterer Ver-
folgung dieser Angelegenheit nun fällt ihm die Aehnlichkeit der er-
sten Anlage des Darmes mit derjenigen des Nervensystemes, des
Gefässsystemes, der Fleischmasse und des gesammten Keimes über-
haupt auf (Ueber die Bildung des Darmkanals St. 141), und so
kommt er schliesslich (1. c. St. 157) zu folgendem merkwürdigen
Ausspruche, in dem die ganze neuere Lehre von dem Aufbaue des
Leibes aus mehrfachen blattartigen Primitivorganen im Keime an-
gedeutet ist: »Diese nicht etwa eingebildete, sondern auf den sicher-
sten Beobachtungen begründete und höchst wunderbare Analogie
von Theilen, die in ihrer Natur so sehr von einander abweichen,
verdient die Aufmerksamkeit der Physiologen im höchsten Grade,
indem man leicht zugeben wird, dass sie einen tiefen Sinn hat und
in der engsten Beziehung mit der Erzeugung und der Natur der
Thiere steht. Es scheint, als würden zu verschiedenen Zeiten und
mehrere Male hinter einander nach einem und demselben Typus ver-
schiedene Systeme, aus welchen dann ein ganzes Thier wird, gebil-
det, und als wären diese darum einander ähnlich, wenn sie gleich
ihrem Wesen nach verschieden sind. Das System, welches zuerst
erzeugt wird, zuerst eine bestimmte eigenthümliche Gestalt annimmt,
ist das Nervensystem. Ist dieses vollendet, so bildet sich die Fleisch-
masse, welche eigentlich den Embryo ausmacht, nach demselben
Typus .... Darauf erscheint ein drittes, das Gefässsystem, das
gewiss .... den ersteren nicht so unähnlich ist, dass nicht die, als
allen Systemen als gemeinsam zukommend beschriebene Form, in
ihm leicht erkannt würde. Auf dieses folgt das vierte, der Darmka-
nal, der wieder nach demselben Typus gebildet wird, und als ein
vollendetes, in sich geschlossenes Ganze den drei ersten ähnlich er-
scheint.«


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[5/0021] Historische Einleitung. aber Wolff durch seine theoretischen Betrachtungen, durch den allgemeinen Standpunct, den er einnahm. Wolff ist der Entdecker der Metamorphose der Pflanzen und nicht Göthe, was dieser selbst anerkennt, und hat er als junger Mann von 26 Jahren in seiner Dis- sertation diese Lehre in ihrem ganzen Umfange vorgetragen. Die Zurückführung aller wesentlichen Pflanzentheile mit Ausnahme des Stengels auf das Blatt musste ihn natürlich auf den Gedanken brin- gen, auch die Generationstheorie der Thiere in ähnlicher Weise zu entwickeln. Er findet jedoch bald, dass, bei der grossen Verschie- denheit der Organe, Ein Primitivorgan analog dem Blatte hier nicht ausreicht und unmöglich vorhanden sein kann. Bei weiterer Ver- folgung dieser Angelegenheit nun fällt ihm die Aehnlichkeit der er- sten Anlage des Darmes mit derjenigen des Nervensystemes, des Gefässsystemes, der Fleischmasse und des gesammten Keimes über- haupt auf (Ueber die Bildung des Darmkanals St. 141), und so kommt er schliesslich (1. c. St. 157) zu folgendem merkwürdigen Ausspruche, in dem die ganze neuere Lehre von dem Aufbaue des Leibes aus mehrfachen blattartigen Primitivorganen im Keime an- gedeutet ist: »Diese nicht etwa eingebildete, sondern auf den sicher- sten Beobachtungen begründete und höchst wunderbare Analogie von Theilen, die in ihrer Natur so sehr von einander abweichen, verdient die Aufmerksamkeit der Physiologen im höchsten Grade, indem man leicht zugeben wird, dass sie einen tiefen Sinn hat und in der engsten Beziehung mit der Erzeugung und der Natur der Thiere steht. Es scheint, als würden zu verschiedenen Zeiten und mehrere Male hinter einander nach einem und demselben Typus ver- schiedene Systeme, aus welchen dann ein ganzes Thier wird, gebil- det, und als wären diese darum einander ähnlich, wenn sie gleich ihrem Wesen nach verschieden sind. Das System, welches zuerst erzeugt wird, zuerst eine bestimmte eigenthümliche Gestalt annimmt, ist das Nervensystem. Ist dieses vollendet, so bildet sich die Fleisch- masse, welche eigentlich den Embryo ausmacht, nach demselben Typus .... Darauf erscheint ein drittes, das Gefässsystem, das gewiss .... den ersteren nicht so unähnlich ist, dass nicht die, als allen Systemen als gemeinsam zukommend beschriebene Form, in ihm leicht erkannt würde. Auf dieses folgt das vierte, der Darmka- nal, der wieder nach demselben Typus gebildet wird, und als ein vollendetes, in sich geschlossenes Ganze den drei ersten ähnlich er- scheint.«

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/21>, abgerufen am 29.03.2024.