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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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so ist es wol kein Wunder, daß wir auch die
Bande freventlich und gewissenlos verlezzen, die
uns an die Menschheit ketten.

Wenn die Gerechtigkeit taub ist gegen die
Stimme der Unterdrükten, und die Person an-
sieht, die sie richten soll; wenn gewissenlose bos-
hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre
Aussprüche nach dem Masstab ihrer Leidenschaf-
ten einrichten -- wenn unbärtige Knaben an
den troknen Worten der Gesezze klauben, und
die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da
sie weder die Welt, ihre Mitbrüder, noch sich
selbst kennen -- wenn sie den Aberglauben be-
günstigen und lächerlichen Vorurteilen den Sieg
über sich einräumen -- Wenn dir deutscher
Mann!
diese Szenen nicht blos in Lion und
Toulouse, sondern in deinem Vaterlande auf-
stossen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge-
richtshöfe
findest, die zum Schuzze der menfch-
lichen Rechte berufen, sie selbst entweihen, die
Menschheit unterjochen, die Unschuld in den
Staub legen, so nenne unser Zeitalter nicht das
aufgeklärte, das Jahrhundert des Geschmaks
und der Verfeinerung, so glaube nicht, daß wir
weiser sind, als unsere Vorältern, die auf die

Auf-

ſo iſt es wol kein Wunder, daß wir auch die
Bande freventlich und gewiſſenlos verlezzen, die
uns an die Menſchheit ketten.

Wenn die Gerechtigkeit taub iſt gegen die
Stimme der Unterdruͤkten, und die Perſon an-
ſieht, die ſie richten ſoll; wenn gewiſſenloſe bos-
hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre
Ausſpruͤche nach dem Masſtab ihrer Leidenſchaf-
ten einrichten — wenn unbaͤrtige Knaben an
den troknen Worten der Geſezze klauben, und
die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da
ſie weder die Welt, ihre Mitbruͤder, noch ſich
ſelbſt kennen — wenn ſie den Aberglauben be-
guͤnſtigen und laͤcherlichen Vorurteilen den Sieg
uͤber ſich einraͤumen — Wenn dir deutſcher
Mann!
dieſe Szenen nicht blos in Lion und
Toulouſe, ſondern in deinem Vaterlande auf-
ſtoſſen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge-
richtshoͤfe
findeſt, die zum Schuzze der menfch-
lichen Rechte berufen, ſie ſelbſt entweihen, die
Menſchheit unterjochen, die Unſchuld in den
Staub legen, ſo nenne unſer Zeitalter nicht das
aufgeklaͤrte, das Jahrhundert des Geſchmaks
und der Verfeinerung, ſo glaube nicht, daß wir
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[16/0024] ſo iſt es wol kein Wunder, daß wir auch die Bande freventlich und gewiſſenlos verlezzen, die uns an die Menſchheit ketten. Wenn die Gerechtigkeit taub iſt gegen die Stimme der Unterdruͤkten, und die Perſon an- ſieht, die ſie richten ſoll; wenn gewiſſenloſe bos- hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre Ausſpruͤche nach dem Masſtab ihrer Leidenſchaf- ten einrichten — wenn unbaͤrtige Knaben an den troknen Worten der Geſezze klauben, und die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da ſie weder die Welt, ihre Mitbruͤder, noch ſich ſelbſt kennen — wenn ſie den Aberglauben be- guͤnſtigen und laͤcherlichen Vorurteilen den Sieg uͤber ſich einraͤumen — Wenn dir deutſcher Mann! dieſe Szenen nicht blos in Lion und Toulouſe, ſondern in deinem Vaterlande auf- ſtoſſen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge- richtshoͤfe findeſt, die zum Schuzze der menfch- lichen Rechte berufen, ſie ſelbſt entweihen, die Menſchheit unterjochen, die Unſchuld in den Staub legen, ſo nenne unſer Zeitalter nicht das aufgeklaͤrte, das Jahrhundert des Geſchmaks und der Verfeinerung, ſo glaube nicht, daß wir weiſer ſind, als unſere Voraͤltern, die auf die Auf-

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/24>, abgerufen am 29.03.2024.