so ist es wol kein Wunder, daß wir auch die Bande freventlich und gewissenlos verlezzen, die uns an die Menschheit ketten.
Wenn die Gerechtigkeit taub ist gegen die Stimme der Unterdrükten, und die Person an- sieht, die sie richten soll; wenn gewissenlose bos- hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre Aussprüche nach dem Masstab ihrer Leidenschaf- ten einrichten -- wenn unbärtige Knaben an den troknen Worten der Gesezze klauben, und die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da sie weder die Welt, ihre Mitbrüder, noch sich selbst kennen -- wenn sie den Aberglauben be- günstigen und lächerlichen Vorurteilen den Sieg über sich einräumen -- Wenn dir deutscher Mann! diese Szenen nicht blos in Lion und Toulouse, sondern in deinem Vaterlande auf- stossen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge- richtshöfe findest, die zum Schuzze der menfch- lichen Rechte berufen, sie selbst entweihen, die Menschheit unterjochen, die Unschuld in den Staub legen, so nenne unser Zeitalter nicht das aufgeklärte, das Jahrhundert des Geschmaks und der Verfeinerung, so glaube nicht, daß wir weiser sind, als unsere Vorältern, die auf die
Auf-
ſo iſt es wol kein Wunder, daß wir auch die Bande freventlich und gewiſſenlos verlezzen, die uns an die Menſchheit ketten.
Wenn die Gerechtigkeit taub iſt gegen die Stimme der Unterdruͤkten, und die Perſon an- ſieht, die ſie richten ſoll; wenn gewiſſenloſe bos- hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre Ausſpruͤche nach dem Masſtab ihrer Leidenſchaf- ten einrichten — wenn unbaͤrtige Knaben an den troknen Worten der Geſezze klauben, und die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da ſie weder die Welt, ihre Mitbruͤder, noch ſich ſelbſt kennen — wenn ſie den Aberglauben be- guͤnſtigen und laͤcherlichen Vorurteilen den Sieg uͤber ſich einraͤumen — Wenn dir deutſcher Mann! dieſe Szenen nicht blos in Lion und Toulouſe, ſondern in deinem Vaterlande auf- ſtoſſen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge- richtshoͤfe findeſt, die zum Schuzze der menfch- lichen Rechte berufen, ſie ſelbſt entweihen, die Menſchheit unterjochen, die Unſchuld in den Staub legen, ſo nenne unſer Zeitalter nicht das aufgeklaͤrte, das Jahrhundert des Geſchmaks und der Verfeinerung, ſo glaube nicht, daß wir weiſer ſind, als unſere Voraͤltern, die auf die
Auf-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0024"n="16"/>ſo iſt es wol kein Wunder, daß wir auch die<lb/>
Bande freventlich und gewiſſenlos verlezzen, die<lb/>
uns an die Menſchheit ketten.</p><lb/><p>Wenn die <hirendition="#fr">Gerechtigkeit</hi> taub iſt gegen die<lb/>
Stimme der Unterdruͤkten, und die Perſon an-<lb/>ſieht, die ſie richten ſoll; wenn gewiſſenloſe bos-<lb/>
hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre<lb/>
Ausſpruͤche nach dem Masſtab ihrer Leidenſchaf-<lb/>
ten einrichten — wenn unbaͤrtige Knaben an<lb/>
den troknen Worten der Geſezze klauben, und<lb/>
die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da<lb/>ſie weder die Welt, ihre Mitbruͤder, noch ſich<lb/>ſelbſt kennen — wenn ſie den Aberglauben be-<lb/>
guͤnſtigen und laͤcherlichen Vorurteilen den Sieg<lb/>
uͤber ſich einraͤumen — Wenn <hirendition="#fr">dir deutſcher<lb/>
Mann!</hi> dieſe Szenen nicht blos in <hirendition="#fr">Lion</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Toulouſe,</hi>ſondern in deinem <hirendition="#fr">Vaterlande</hi> auf-<lb/>ſtoſſen, wenn du auch in deinen Grenzen <hirendition="#fr">Ge-<lb/>
richtshoͤfe</hi> findeſt, die zum Schuzze der menfch-<lb/>
lichen Rechte berufen, ſie ſelbſt entweihen, die<lb/>
Menſchheit unterjochen, die Unſchuld in den<lb/>
Staub legen, ſo nenne unſer Zeitalter nicht das<lb/>
aufgeklaͤrte, das Jahrhundert des Geſchmaks<lb/>
und der Verfeinerung, ſo glaube nicht, daß wir<lb/>
weiſer ſind, als unſere Voraͤltern, die auf die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Auf-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[16/0024]
ſo iſt es wol kein Wunder, daß wir auch die
Bande freventlich und gewiſſenlos verlezzen, die
uns an die Menſchheit ketten.
Wenn die Gerechtigkeit taub iſt gegen die
Stimme der Unterdruͤkten, und die Perſon an-
ſieht, die ſie richten ſoll; wenn gewiſſenloſe bos-
hafte Richter das Recht verkaufen, und ihre
Ausſpruͤche nach dem Masſtab ihrer Leidenſchaf-
ten einrichten — wenn unbaͤrtige Knaben an
den troknen Worten der Geſezze klauben, und
die Handlungen Anderer beurteilen wollen, da
ſie weder die Welt, ihre Mitbruͤder, noch ſich
ſelbſt kennen — wenn ſie den Aberglauben be-
guͤnſtigen und laͤcherlichen Vorurteilen den Sieg
uͤber ſich einraͤumen — Wenn dir deutſcher
Mann! dieſe Szenen nicht blos in Lion und
Toulouſe, ſondern in deinem Vaterlande auf-
ſtoſſen, wenn du auch in deinen Grenzen Ge-
richtshoͤfe findeſt, die zum Schuzze der menfch-
lichen Rechte berufen, ſie ſelbſt entweihen, die
Menſchheit unterjochen, die Unſchuld in den
Staub legen, ſo nenne unſer Zeitalter nicht das
aufgeklaͤrte, das Jahrhundert des Geſchmaks
und der Verfeinerung, ſo glaube nicht, daß wir
weiſer ſind, als unſere Voraͤltern, die auf die
Auf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/24>, abgerufen am 29.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.