Ward nicht eine gute ehrbare Matrone als Hexe zu Buchlor verbrant? Ward nicht man- cher gerichtet, dessen That Mord vor Menschen, aber nicht vor Gott hieß? Ward nicht mancher gerichtet, der aus einem Anfall von Wahnsinn, und überspanntem Affekt, ein Mörder ward, des- sen Seele aber, indem er mordete, nicht wuste, was seine Hände thaten? Ja ward nicht mancher gerichtet, indem ein unwissender, oder wohl gar bestochener Richter den Stab Wehe über ihm brach?
Zollt daher immer dem Andenken dieser Un- glüklichen Tränen des Gefühls und der Rüh- rung, laßt uns ihr Andenken vor dem Hohnge- lächter kalter Seelen retten, laßt uns aus ihrem Fall ein lehrreiches Beispiel ziehen, wie tief der Mensch fallen, wie tief er hinabsinken kann.
Noch sind wir zwar glüklich -- noch schlür- fen wir den reinsten Genuß der Lebensglükse- ligkeit ein, aber wie bald kann die Sonne wei- chen, und schwarze Wolken fürchterlich über unsern Scheiteln hängen! -- Laßt uns daher auch jetzt, in den heitern Tagen unsers Lebens, unsere Knie vor jenes höchste Wesen beugen, das unsicht- bar um uns wandelt -- laßt uns ihn mit ge-
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Ward nicht eine gute ehrbare Matrone als Hexe zu Buchlor verbrant? Ward nicht man- cher gerichtet, deſſen That Mord vor Menſchen, aber nicht vor Gott hieß? Ward nicht mancher gerichtet, der aus einem Anfall von Wahnſinn, und uͤberſpanntem Affekt, ein Moͤrder ward, deſ- ſen Seele aber, indem er mordete, nicht wuſte, was ſeine Haͤnde thaten? Ja ward nicht mancher gerichtet, indem ein unwiſſender, oder wohl gar beſtochener Richter den Stab Wehe uͤber ihm brach?
Zollt daher immer dem Andenken dieſer Un- gluͤklichen Traͤnen des Gefuͤhls und der Ruͤh- rung, laßt uns ihr Andenken vor dem Hohnge- laͤchter kalter Seelen retten, laßt uns aus ihrem Fall ein lehrreiches Beiſpiel ziehen, wie tief der Menſch fallen, wie tief er hinabſinken kann.
Noch ſind wir zwar gluͤklich — noch ſchluͤr- fen wir den reinſten Genuß der Lebensgluͤkſe- ligkeit ein, aber wie bald kann die Sonne wei- chen, und ſchwarze Wolken fuͤrchterlich uͤber unſern Scheiteln haͤngen! — Laßt uns daher auch jetzt, in den heitern Tagen unſers Lebens, unſere Knie vor jenes hoͤchſte Weſen beugen, das unſicht- bar um uns wandelt — laßt uns ihn mit ge-
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Ward nicht eine gute ehrbare Matrone als
Hexe zu Buchlor verbrant? Ward nicht man-
cher gerichtet, deſſen That Mord vor Menſchen,
aber nicht vor Gott hieß? Ward nicht mancher
gerichtet, der aus einem Anfall von Wahnſinn,
und uͤberſpanntem Affekt, ein Moͤrder ward, deſ-
ſen Seele aber, indem er mordete, nicht wuſte,
was ſeine Haͤnde thaten? Ja ward nicht mancher
gerichtet, indem ein unwiſſender, oder wohl gar
beſtochener Richter den Stab Wehe uͤber ihm
brach?
Zollt daher immer dem Andenken dieſer Un-
gluͤklichen Traͤnen des Gefuͤhls und der Ruͤh-
rung, laßt uns ihr Andenken vor dem Hohnge-
laͤchter kalter Seelen retten, laßt uns aus ihrem
Fall ein lehrreiches Beiſpiel ziehen, wie tief der
Menſch fallen, wie tief er hinabſinken kann.
Noch ſind wir zwar gluͤklich — noch ſchluͤr-
fen wir den reinſten Genuß der Lebensgluͤkſe-
ligkeit ein, aber wie bald kann die Sonne wei-
chen, und ſchwarze Wolken fuͤrchterlich uͤber unſern
Scheiteln haͤngen! — Laßt uns daher auch jetzt,
in den heitern Tagen unſers Lebens, unſere Knie
vor jenes hoͤchſte Weſen beugen, das unſicht-
bar um uns wandelt — laßt uns ihn mit ge-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/15>, abgerufen am 28.03.2024.
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