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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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sehn. Ihnen sind die kleinen jährlichen oder
andern Feste immer neu, immer gleich glänzend
und merkwürdig -- Glückliche Unwissenheit!
nicht zu vertauschen mit dem Ekel, welcher den
Mann anwandelt, der in seinem Leben so gar
viel aller Orten erlebt, erfahren, gesehn, bauen
und zerstöhren gesehn hat, und zuletzt an
nichts mehr Freude finden, nichts mehr be¬
wundern kann, alles mit Tadel und Langer¬
weile anblickt! Ich reisete vor einigen Jahren
im rauhesten Wetter in nothwendigen Ge¬
schäften vierzig Meilen weit von *** nach
***. Es fügte sich, daß in letzterer Stadt
am Tage meiner Ankunft ein General, mit
den dabey aller Orten mehr oder weniger
üblichen Feyerlichkeiten, sollte begraben wer¬
den. Die ganze Stadt, die dergleichen selten
gesehn, war vom frühen Morgen an in Be¬
wegung; alles sprach von dem Begräbnisse des
Generals. Ein Officier von meiner alten
Bekanntschaft begegnete mir im Gasthofe:
"Ey! wo kommen sie her?" rief er. Ich
sagte es ihm. Der gute Mann vergaß in dem
Augenblicke, daß *** vierzig Meilen weit
läge, und daß eine solche Feyerlichkeit mir wohl

schwer

ſehn. Ihnen ſind die kleinen jaͤhrlichen oder
andern Feſte immer neu, immer gleich glaͤnzend
und merkwuͤrdig — Gluͤckliche Unwiſſenheit!
nicht zu vertauſchen mit dem Ekel, welcher den
Mann anwandelt, der in ſeinem Leben ſo gar
viel aller Orten erlebt, erfahren, geſehn, bauen
und zerſtoͤhren geſehn hat, und zuletzt an
nichts mehr Freude finden, nichts mehr be¬
wundern kann, alles mit Tadel und Langer¬
weile anblickt! Ich reiſete vor einigen Jahren
im rauheſten Wetter in nothwendigen Ge¬
ſchaͤften vierzig Meilen weit von *** nach
***. Es fuͤgte ſich, daß in letzterer Stadt
am Tage meiner Ankunft ein General, mit
den dabey aller Orten mehr oder weniger
uͤblichen Feyerlichkeiten, ſollte begraben wer¬
den. Die ganze Stadt, die dergleichen ſelten
geſehn, war vom fruͤhen Morgen an in Be¬
wegung; alles ſprach von dem Begraͤbniſſe des
Generals. Ein Officier von meiner alten
Bekanntſchaft begegnete mir im Gaſthofe:
„Ey! wo kommen ſie her?“ rief er. Ich
ſagte es ihm. Der gute Mann vergaß in dem
Augenblicke, daß *** vierzig Meilen weit
laͤge, und daß eine ſolche Feyerlichkeit mir wohl

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[15/0045] ſehn. Ihnen ſind die kleinen jaͤhrlichen oder andern Feſte immer neu, immer gleich glaͤnzend und merkwuͤrdig — Gluͤckliche Unwiſſenheit! nicht zu vertauſchen mit dem Ekel, welcher den Mann anwandelt, der in ſeinem Leben ſo gar viel aller Orten erlebt, erfahren, geſehn, bauen und zerſtoͤhren geſehn hat, und zuletzt an nichts mehr Freude finden, nichts mehr be¬ wundern kann, alles mit Tadel und Langer¬ weile anblickt! Ich reiſete vor einigen Jahren im rauheſten Wetter in nothwendigen Ge¬ ſchaͤften vierzig Meilen weit von *** nach ***. Es fuͤgte ſich, daß in letzterer Stadt am Tage meiner Ankunft ein General, mit den dabey aller Orten mehr oder weniger uͤblichen Feyerlichkeiten, ſollte begraben wer¬ den. Die ganze Stadt, die dergleichen ſelten geſehn, war vom fruͤhen Morgen an in Be¬ wegung; alles ſprach von dem Begraͤbniſſe des Generals. Ein Officier von meiner alten Bekanntſchaft begegnete mir im Gaſthofe: „Ey! wo kommen ſie her?“ rief er. Ich ſagte es ihm. Der gute Mann vergaß in dem Augenblicke, daß *** vierzig Meilen weit laͤge, und daß eine ſolche Feyerlichkeit mir wohl ſchwer

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/45>, abgerufen am 19.04.2024.