Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Das geistige Eigenthum. §. 14. Erfordernisse.
stimmen, bis zu welcher die Production als eine überwiegend
geistige anzuerkennen und gegen Nachbildung zu schützen ist.
Zunächst dienen alle Erfindungen, die überhaupt Gegenstand
des geistigen Eigenthumes sein können (vergl. oben S. 113) dem
materiellen Gebrauche. Sie stellen sich mithin als vorwiegend
geistige Erzeugnisse nur insofern dar, als sie dazu dienen, die
materiellen Bedürfnisse auf eine neue Art oder durch neue
Mittel zu befriedigen. Ist dies der Fall, so gilt offenbar auch
von der Erfindung das oben Gesagte: dass die geistige Produc-
tion überwiegt, und der Stoff nur als Träger der geistigen
Form erscheint, denn bei dem ersten Exemplare oder Modelle
einer Dampfmaschine oder eines Telegraphenapparates ist nicht
das als das Wesentliche zu bezeichnen, dass sie als Bewegungs-
oder Communicationsmittel an einer bestimmten Stelle Verwen-
dung finden konnten, sondern dass sie das Muster und die Form
für die Anwendung gleicher Bewegungs- und Communications-
mittel an jedem beliebigen Orte abgaben.

Doch hat weder die Gesetzgebung noch die Praxis bisher
eine hinreichend scharfe und erkennbare Grenze zwischen sol-
chen Erfindungen gezogen, welche neue mechanische oder che-
mische Hülfsmittel zur Erreichung technischer Zwecke gewäh-
ren und denjenigen, welche nur eine Wiederholung bereits be-
kannter Prozesse und Vorrichtungen in veränderter Gestalt und
Anordnung enthalten. Während in den Rechtsgebieten des Vor-
prüfungsverfahrens (oben S. 31) darüber Klage geführt wird,
dass die zu enge Auffassung der Prüfungsbehörden zahlreiche
wirklich neue Erfindungen von dem Patentschutze ausschliesst,
begegnen wir in den Ländern, in welchen das blosse Anmel-
dungsverfahren besteht, hunderten von Patenten, die auf eben
so viele gleichgültige Variationen eines einfachen Werkzeuges,
wie z. B. eines Korkziehers, gelöst sind, und einer Praxis der
Gerichte, welche geneigt ist, jede solche patentirte Vorrichtung
gegen Nachahmung zu schützen, ohne Unterschied, ob die Ei-
genthümlichkeit derselben in einem wirklich neuen mechanischen
oder chemischen Effecte, oder in einer blossen Variation bereits
bekannter Vorrichtungen besteht.

Es wird im weiteren Verlaufe der Darstellung untersucht
werden, welches System der Patentgesetzgebung dem Zwecke
entspricht, das wirkliche geistige Eigenthum der Erfinder zu
schützen, und nach welchen Regeln die geistig schaffende Er-

IV. Das geistige Eigenthum. §. 14. Erfordernisse.
stimmen, bis zu welcher die Production als eine überwiegend
geistige anzuerkennen und gegen Nachbildung zu schützen ist.
Zunächst dienen alle Erfindungen, die überhaupt Gegenstand
des geistigen Eigenthumes sein können (vergl. oben S. 113) dem
materiellen Gebrauche. Sie stellen sich mithin als vorwiegend
geistige Erzeugnisse nur insofern dar, als sie dazu dienen, die
materiellen Bedürfnisse auf eine neue Art oder durch neue
Mittel zu befriedigen. Ist dies der Fall, so gilt offenbar auch
von der Erfindung das oben Gesagte: dass die geistige Produc-
tion überwiegt, und der Stoff nur als Träger der geistigen
Form erscheint, denn bei dem ersten Exemplare oder Modelle
einer Dampfmaschine oder eines Telegraphenapparates ist nicht
das als das Wesentliche zu bezeichnen, dass sie als Bewegungs-
oder Communicationsmittel an einer bestimmten Stelle Verwen-
dung finden konnten, sondern dass sie das Muster und die Form
für die Anwendung gleicher Bewegungs- und Communications-
mittel an jedem beliebigen Orte abgaben.

Doch hat weder die Gesetzgebung noch die Praxis bisher
eine hinreichend scharfe und erkennbare Grenze zwischen sol-
chen Erfindungen gezogen, welche neue mechanische oder che-
mische Hülfsmittel zur Erreichung technischer Zwecke gewäh-
ren und denjenigen, welche nur eine Wiederholung bereits be-
kannter Prozesse und Vorrichtungen in veränderter Gestalt und
Anordnung enthalten. Während in den Rechtsgebieten des Vor-
prüfungsverfahrens (oben S. 31) darüber Klage geführt wird,
dass die zu enge Auffassung der Prüfungsbehörden zahlreiche
wirklich neue Erfindungen von dem Patentschutze ausschliesst,
begegnen wir in den Ländern, in welchen das blosse Anmel-
dungsverfahren besteht, hunderten von Patenten, die auf eben
so viele gleichgültige Variationen eines einfachen Werkzeuges,
wie z. B. eines Korkziehers, gelöst sind, und einer Praxis der
Gerichte, welche geneigt ist, jede solche patentirte Vorrichtung
gegen Nachahmung zu schützen, ohne Unterschied, ob die Ei-
genthümlichkeit derselben in einem wirklich neuen mechanischen
oder chemischen Effecte, oder in einer blossen Variation bereits
bekannter Vorrichtungen besteht.

Es wird im weiteren Verlaufe der Darstellung untersucht
werden, welches System der Patentgesetzgebung dem Zwecke
entspricht, das wirkliche geistige Eigenthum der Erfinder zu
schützen, und nach welchen Regeln die geistig schaffende Er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0146" n="130"/><fw place="top" type="header">IV. Das geistige Eigenthum. §. 14. Erfordernisse.</fw><lb/>
stimmen, bis zu welcher die Production als eine überwiegend<lb/>
geistige anzuerkennen und gegen Nachbildung zu schützen ist.<lb/>
Zunächst dienen alle Erfindungen, die überhaupt Gegenstand<lb/>
des geistigen Eigenthumes sein können (vergl. oben S. 113) dem<lb/>
materiellen Gebrauche. Sie stellen sich mithin als vorwiegend<lb/>
geistige Erzeugnisse nur insofern dar, als sie dazu dienen, die<lb/>
materiellen Bedürfnisse auf eine neue Art oder durch neue<lb/>
Mittel zu befriedigen. Ist dies der Fall, so gilt offenbar auch<lb/>
von der Erfindung das oben Gesagte: dass die geistige Produc-<lb/>
tion überwiegt, und der Stoff nur als Träger der geistigen<lb/>
Form erscheint, denn bei dem ersten Exemplare oder Modelle<lb/>
einer Dampfmaschine oder eines Telegraphenapparates ist nicht<lb/>
das als das Wesentliche zu bezeichnen, dass sie als Bewegungs-<lb/>
oder Communicationsmittel an einer bestimmten Stelle Verwen-<lb/>
dung finden konnten, sondern dass sie das Muster und die Form<lb/>
für die Anwendung gleicher Bewegungs- und Communications-<lb/>
mittel an jedem beliebigen Orte abgaben.</p><lb/>
            <p>Doch hat weder die Gesetzgebung noch die Praxis bisher<lb/>
eine hinreichend scharfe und erkennbare Grenze zwischen sol-<lb/>
chen Erfindungen gezogen, welche neue mechanische oder che-<lb/>
mische Hülfsmittel zur Erreichung technischer Zwecke gewäh-<lb/>
ren und denjenigen, welche nur eine Wiederholung bereits be-<lb/>
kannter Prozesse und Vorrichtungen in veränderter Gestalt und<lb/>
Anordnung enthalten. Während in den Rechtsgebieten des Vor-<lb/>
prüfungsverfahrens (oben S. 31) darüber Klage geführt wird,<lb/>
dass die zu enge Auffassung der Prüfungsbehörden zahlreiche<lb/>
wirklich neue Erfindungen von dem Patentschutze ausschliesst,<lb/>
begegnen wir in den Ländern, in welchen das blosse Anmel-<lb/>
dungsverfahren besteht, hunderten von Patenten, die auf eben<lb/>
so viele gleichgültige Variationen eines einfachen Werkzeuges,<lb/>
wie z. B. eines Korkziehers, gelöst sind, und einer Praxis der<lb/>
Gerichte, welche geneigt ist, jede solche patentirte Vorrichtung<lb/>
gegen Nachahmung zu schützen, ohne Unterschied, ob die Ei-<lb/>
genthümlichkeit derselben in einem wirklich neuen mechanischen<lb/>
oder chemischen Effecte, oder in einer blossen Variation bereits<lb/>
bekannter Vorrichtungen besteht.</p><lb/>
            <p>Es wird im weiteren Verlaufe der Darstellung untersucht<lb/>
werden, welches System der Patentgesetzgebung dem Zwecke<lb/>
entspricht, das wirkliche geistige Eigenthum der Erfinder zu<lb/>
schützen, und nach welchen Regeln die geistig schaffende Er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0146] IV. Das geistige Eigenthum. §. 14. Erfordernisse. stimmen, bis zu welcher die Production als eine überwiegend geistige anzuerkennen und gegen Nachbildung zu schützen ist. Zunächst dienen alle Erfindungen, die überhaupt Gegenstand des geistigen Eigenthumes sein können (vergl. oben S. 113) dem materiellen Gebrauche. Sie stellen sich mithin als vorwiegend geistige Erzeugnisse nur insofern dar, als sie dazu dienen, die materiellen Bedürfnisse auf eine neue Art oder durch neue Mittel zu befriedigen. Ist dies der Fall, so gilt offenbar auch von der Erfindung das oben Gesagte: dass die geistige Produc- tion überwiegt, und der Stoff nur als Träger der geistigen Form erscheint, denn bei dem ersten Exemplare oder Modelle einer Dampfmaschine oder eines Telegraphenapparates ist nicht das als das Wesentliche zu bezeichnen, dass sie als Bewegungs- oder Communicationsmittel an einer bestimmten Stelle Verwen- dung finden konnten, sondern dass sie das Muster und die Form für die Anwendung gleicher Bewegungs- und Communications- mittel an jedem beliebigen Orte abgaben. Doch hat weder die Gesetzgebung noch die Praxis bisher eine hinreichend scharfe und erkennbare Grenze zwischen sol- chen Erfindungen gezogen, welche neue mechanische oder che- mische Hülfsmittel zur Erreichung technischer Zwecke gewäh- ren und denjenigen, welche nur eine Wiederholung bereits be- kannter Prozesse und Vorrichtungen in veränderter Gestalt und Anordnung enthalten. Während in den Rechtsgebieten des Vor- prüfungsverfahrens (oben S. 31) darüber Klage geführt wird, dass die zu enge Auffassung der Prüfungsbehörden zahlreiche wirklich neue Erfindungen von dem Patentschutze ausschliesst, begegnen wir in den Ländern, in welchen das blosse Anmel- dungsverfahren besteht, hunderten von Patenten, die auf eben so viele gleichgültige Variationen eines einfachen Werkzeuges, wie z. B. eines Korkziehers, gelöst sind, und einer Praxis der Gerichte, welche geneigt ist, jede solche patentirte Vorrichtung gegen Nachahmung zu schützen, ohne Unterschied, ob die Ei- genthümlichkeit derselben in einem wirklich neuen mechanischen oder chemischen Effecte, oder in einer blossen Variation bereits bekannter Vorrichtungen besteht. Es wird im weiteren Verlaufe der Darstellung untersucht werden, welches System der Patentgesetzgebung dem Zwecke entspricht, das wirkliche geistige Eigenthum der Erfinder zu schützen, und nach welchen Regeln die geistig schaffende Er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/146
Zitationshilfe: Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/146>, abgerufen am 25.04.2024.