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Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810.

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ihren Lippen zu reichen, kreideweißen Antlitzes ent-
weicht, wie vor dem Wolfe, der sie zerreißen will?
Nun denn, so walte, Hekate, Fürstinn des Zaubers,
moorduftige Königinn der Nacht! Sproßt, ihr dämo-
nischen Kräfte, die die menschliche Satzung sonst aus-
zujäten bemüht war, blüht auf, unter dem Athem
der Hexen, und schoßt zu Wäldern empor, daß die
Wipfel sich zerschlagen, und die Pflanze des Himmels,
die am Boden keimt, verwese; rinnt, ihr Säfte der
Hölle, tröpfelnd aus Stämmen und Stielen gezo-
gen, fallt, wie ein Katarakt, ins Land, daß der
erstickende Pestqualm zu den Wolken empordampft;
fließt und ergießt euch durch alle Röhren des Lebens,
und schwemmt, in allgemeiner Sündfluth, Unschuld
und Tugend hinweg!
Graf Otto.
Hat er ihr Gift eingeflößt?
Wenzel.
Meinst du, daß er ihr verzauberte Tränke gereicht?
Hans.
Opiate, die des Menschen Herz, der sie genießt,
mit geheimnißvoller Gewalt umstricken?
Theobald.
Gift? Opiate? Ihr hohen Herren, was fragt
ihr mich? Ich habe die Flaschen nicht gepfropft, von
welchen er ihr, an der Wand des Felsens, zur Erfri-
ihren Lippen zu reichen, kreideweißen Antlitzes ent-
weicht, wie vor dem Wolfe, der ſie zerreißen will?
Nun denn, ſo walte, Hekate, Fürſtinn des Zaubers,
moorduftige Königinn der Nacht! Sproßt, ihr dämo-
niſchen Kräfte, die die menſchliche Satzung ſonſt aus-
zujäten bemüht war, blüht auf, unter dem Athem
der Hexen, und ſchoßt zu Wäldern empor, daß die
Wipfel ſich zerſchlagen, und die Pflanze des Himmels,
die am Boden keimt, verweſe; rinnt, ihr Säfte der
Hölle, tröpfelnd aus Stämmen und Stielen gezo-
gen, fallt, wie ein Katarakt, ins Land, daß der
erſtickende Peſtqualm zu den Wolken empordampft;
fließt und ergießt euch durch alle Röhren des Lebens,
und ſchwemmt, in allgemeiner Sündfluth, Unſchuld
und Tugend hinweg!
Graf Otto.
Hat er ihr Gift eingeflößt?
Wenzel.
Meinſt du, daß er ihr verzauberte Tränke gereicht?
Hans.
Opiate, die des Menſchen Herz, der ſie genießt,
mit geheimnißvoller Gewalt umſtricken?
Theobald.
Gift? Opiate? Ihr hohen Herren, was fragt
ihr mich? Ich habe die Flaſchen nicht gepfropft, von
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[22/0028] ihren Lippen zu reichen, kreideweißen Antlitzes ent- weicht, wie vor dem Wolfe, der ſie zerreißen will? Nun denn, ſo walte, Hekate, Fürſtinn des Zaubers, moorduftige Königinn der Nacht! Sproßt, ihr dämo- niſchen Kräfte, die die menſchliche Satzung ſonſt aus- zujäten bemüht war, blüht auf, unter dem Athem der Hexen, und ſchoßt zu Wäldern empor, daß die Wipfel ſich zerſchlagen, und die Pflanze des Himmels, die am Boden keimt, verweſe; rinnt, ihr Säfte der Hölle, tröpfelnd aus Stämmen und Stielen gezo- gen, fallt, wie ein Katarakt, ins Land, daß der erſtickende Peſtqualm zu den Wolken empordampft; fließt und ergießt euch durch alle Röhren des Lebens, und ſchwemmt, in allgemeiner Sündfluth, Unſchuld und Tugend hinweg! Graf Otto. Hat er ihr Gift eingeflößt? Wenzel. Meinſt du, daß er ihr verzauberte Tränke gereicht? Hans. Opiate, die des Menſchen Herz, der ſie genießt, mit geheimnißvoller Gewalt umſtricken? Theobald. Gift? Opiate? Ihr hohen Herren, was fragt ihr mich? Ich habe die Flaſchen nicht gepfropft, von welchen er ihr, an der Wand des Felſens, zur Erfri-

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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_kaethchen_1810/28>, abgerufen am 24.04.2024.