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Klaj, Johann: Lobrede der Teutschen Poeterey. Nürnberg, 1645.

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der Teutschen Poeterey.
Teutschen Sprache vornemlich daher/ weil sie noch eine reine unbe-
flekte Jungfrau ist: denn Teutschland von frembder Macht unbe-
zwungen/ und von frembden Sprachen unverworren blieben/ wie
solches der fürtrefliche Römer Tacitus schon vor mehr als 1500. Jah-
ren bezeuget.

Dieses zu bejahen solte unschwer fallen/ wenn wir nicht alge-
mach uns nach dem Schluß ümsehen müsten.

Denn daher kömt es/ daß in gantz Europa die Teutsche Spra-
che noch üblichen/ ob sie woln an unterschiedenen Orten unterschiedlich
ausgesprochen wird.

Es durchreise einer Engelland/ Schotland/ Norwegen/ Denne-
mark/ Niderland/ Preussen/ Liefland/ Kurland/ Littau/ Böhmen/
Siebenbürgen/ Wallachen/ Vngarn/ und andere Länder/ er wird sich
nirgend des befahren dürfen/ was jenem Frantzosen bey uns in dem
Wirthshause begegnet/ welcher/ als ihn gehungert/ auf die Zähne
gedeutet/ da denn der Wirth/ der Sprachen unkündig/ nach den Bar-
bierer geschikket/ üm den Gast die Zähne außzubrechen/ und ihm an
Statt des Hungers den Schmertzen zu stillen.

Ja/ was denk- und merkwürdig ist/ so hat der Reiserfahrne Bus-
beqwius zu Constantinopel von zweyen Scythischen Gesandten in
der That erfahren/ daß in einen grossen Theil ihres Landes die Teut-
sche Sprache üblichen sey.

Gleichwie aber das Eisen vom Magnet zwar gezogen wird/
kein Mensch aber weis die stumme Krafft: Also wird die Dicht- und
Reimkunst nicht durch Menschliche Wirkungen/ sondern durch son-
derbare Himmelsgnade eingegossen: sie wird nicht von dem Meister/
sondern aus den süssen Vorgeschwätze und Gesäussel der Ammen/ er-
lernet: nicht in den Schulen aus dem Munde der Lehrer gefasset/
sondern aus den Mütterlichen Milchbrünlein eingesogen. Wie denn
die Sonne und Saltz der Poeten Taubman gesaget:

Zu
D ij

der Teutſchen Poeterey.
Teutſchen Sprache vornemlich daher/ weil ſie noch eine reine unbe-
flekte Jungfrau iſt: denn Teutſchland von frembder Macht unbe-
zwungen/ und von frembden Sprachen unverworren blieben/ wie
ſolches der fuͤrtrefliche Roͤmer Tacitus ſchon vor mehr als 1500. Jah-
ren bezeuget.

Dieſes zu bejahen ſolte unſchwer fallen/ wenn wir nicht alge-
mach uns nach dem Schluß uͤmſehen muͤſten.

Denn daher koͤmt es/ daß in gantz Europa die Teutſche Spra-
che noch uͤblichen/ ob ſie woln an unterſchiedenen Orten unterſchiedlich
ausgeſprochen wird.

Es durchreiſe einer Engelland/ Schotland/ Norwegen/ Denne-
mark/ Niderland/ Preuſſen/ Liefland/ Kurland/ Littau/ Boͤhmen/
Siebenbuͤrgen/ Wallachen/ Vngarn/ und andere Laͤnder/ er wird ſich
nirgend des befahren duͤrfen/ was jenem Frantzoſen bey uns in dem
Wirthshauſe begegnet/ welcher/ als ihn gehungert/ auf die Zaͤhne
gedeutet/ da denn der Wirth/ der Sprachen unkuͤndig/ nach den Bar-
bierer geſchikket/ uͤm den Gaſt die Zaͤhne außzubrechen/ und ihm an
Statt des Hungers den Schmertzen zu ſtillen.

Ja/ was denk- und merkwuͤrdig iſt/ ſo hat der Reiſerfahrne Bus-
beqwius zu Conſtantinopel von zweyen Scythiſchen Geſandten in
der That erfahren/ daß in einen groſſen Theil ihres Landes die Teut-
ſche Sprache uͤblichen ſey.

Gleichwie aber das Eiſen vom Magnet zwar gezogen wird/
kein Menſch aber weis die ſtumme Krafft: Alſo wird die Dicht- und
Reimkunſt nicht durch Menſchliche Wirkungen/ ſondern durch ſon-
derbare Himmelsgnade eingegoſſen: ſie wird nicht von dem Meiſter/
ſondern aus den ſuͤſſen Vorgeſchwaͤtze und Geſaͤuſſel der Ammen/ er-
lernet: nicht in den Schulen aus dem Munde der Lehrer gefaſſet/
ſondern aus den Muͤtterlichen Milchbruͤnlein eingeſogen. Wie denn
die Sonne und Saltz der Poeten Taubman geſaget:

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[19/0033] der Teutſchen Poeterey. Teutſchen Sprache vornemlich daher/ weil ſie noch eine reine unbe- flekte Jungfrau iſt: denn Teutſchland von frembder Macht unbe- zwungen/ und von frembden Sprachen unverworren blieben/ wie ſolches der fuͤrtrefliche Roͤmer Tacitus ſchon vor mehr als 1500. Jah- ren bezeuget. Dieſes zu bejahen ſolte unſchwer fallen/ wenn wir nicht alge- mach uns nach dem Schluß uͤmſehen muͤſten. Denn daher koͤmt es/ daß in gantz Europa die Teutſche Spra- che noch uͤblichen/ ob ſie woln an unterſchiedenen Orten unterſchiedlich ausgeſprochen wird. Es durchreiſe einer Engelland/ Schotland/ Norwegen/ Denne- mark/ Niderland/ Preuſſen/ Liefland/ Kurland/ Littau/ Boͤhmen/ Siebenbuͤrgen/ Wallachen/ Vngarn/ und andere Laͤnder/ er wird ſich nirgend des befahren duͤrfen/ was jenem Frantzoſen bey uns in dem Wirthshauſe begegnet/ welcher/ als ihn gehungert/ auf die Zaͤhne gedeutet/ da denn der Wirth/ der Sprachen unkuͤndig/ nach den Bar- bierer geſchikket/ uͤm den Gaſt die Zaͤhne außzubrechen/ und ihm an Statt des Hungers den Schmertzen zu ſtillen. Ja/ was denk- und merkwuͤrdig iſt/ ſo hat der Reiſerfahrne Bus- beqwius zu Conſtantinopel von zweyen Scythiſchen Geſandten in der That erfahren/ daß in einen groſſen Theil ihres Landes die Teut- ſche Sprache uͤblichen ſey. Gleichwie aber das Eiſen vom Magnet zwar gezogen wird/ kein Menſch aber weis die ſtumme Krafft: Alſo wird die Dicht- und Reimkunſt nicht durch Menſchliche Wirkungen/ ſondern durch ſon- derbare Himmelsgnade eingegoſſen: ſie wird nicht von dem Meiſter/ ſondern aus den ſuͤſſen Vorgeſchwaͤtze und Geſaͤuſſel der Ammen/ er- lernet: nicht in den Schulen aus dem Munde der Lehrer gefaſſet/ ſondern aus den Muͤtterlichen Milchbruͤnlein eingeſogen. Wie denn die Sonne und Saltz der Poeten Taubman geſaget: Zu D ij

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Zitationshilfe: Klaj, Johann: Lobrede der Teutschen Poeterey. Nürnberg, 1645, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klaj_lobrede_1645/33>, abgerufen am 25.04.2024.