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Klaj, Johann: Lobrede der Teutschen Poeterey. Nürnberg, 1645.

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der Teutschen Poeterey.
Bey den Römern ist Virgil in solchem Ansehen gewesen/ daß/ wann
man seine Verse öffentlich verlesen/ das gantze Volk/ aus sonderlicher
Würdigung/ aufgestanden/ und ihm/ wann er gegenwärtig ge-
wesen/ solche Ehre/ als Käiser Augusto selbsten/ wiederfahren/ wie
Quintilian bezeuget.

Die jenigen hingegen/ die etwas/ wie es an ihm selber/ abgehan-
delt/ sind Sänger oder Versmacher genennet worden.

Solche Meinung zu behaubten/ verstärket uns jener Knecht bey
dem Schauspielschreiber Plautus/ wann er saget:

Wie der Poet die Tafel nimt zur Hand/
Vnd suchet das/ was nirgend ist im Land/
Vnd findets auch/ der macht/ daß Läpperey
Der Vnwarheit der Warheit ähnlich sey.

Niemand muß ihm aber die Meinung schöpfen/ als ob die
Poeterey mit lauter Vnwarheiten ümgienge/ und bestünde bloß in
ihr selber/ da sie doch alle andere Künste und Wissenschafften in sich
hält.

Es muß ein Poet ein vielwissender/ in den Sprachen durch trie-
bener und allerdinge erfahrner Mann seyn: Er hebet die Last seines
Leibes von der Erden/ er durch wandert mit seinen Gedanken die Län-
der der Himmel/ die Strassen der Kreise/ die Sitze der Planeten/ die
Grentzen der Sterne/ die Stände der Elementen. Ja er schwinget
die Flügel seiner Sinne/ und fleucht an die Stellen/ da es regnet und
schneiet/ nebelt und hagelt/ stürmet und streitet. Er durch kreucht
den Bauch der Erden/ er durch wädet die Tiefen/ schöpffet scharffe Ge-
danken/ geziemende zierliche Worte lebendige Beschreibungen/ nach-
sinnige Erfindungen/ wolklingende Bindarten/ ungezwurgene Ein-
fälle/ meisterliche Ausschmükkungen/ seltene Lieblichkeiten/ und ver-
nünfftige Neurungen.

Wie bey den Lateinern/ Griech halt mirs zu gut/ daß ich dich mit

Stil-
B iij

der Teutſchen Poeterey.
Bey den Roͤmern iſt Virgil in ſolchem Anſehen geweſen/ daß/ wann
man ſeine Verſe oͤffentlich verleſen/ das gantze Volk/ aus ſonderlicher
Wuͤrdigung/ aufgeſtanden/ und ihm/ wann er gegenwaͤrtig ge-
weſen/ ſolche Ehre/ als Kaͤiſer Auguſto ſelbſten/ wiederfahren/ wie
Quintilian bezeuget.

Die jenigen hingegen/ die etwas/ wie es an ihm ſelber/ abgehan-
delt/ ſind Saͤnger oder Verſmacher genennet worden.

Solche Meinung zu behaubten/ verſtaͤrket uns jener Knecht bey
dem Schauſpielſchreiber Plautus/ wann er ſaget:

Wie der Poet die Tafel nimt zur Hand/
Vnd ſuchet das/ was nirgend iſt im Land/
Vnd findets auch/ der macht/ daß Laͤpperey
Der Vnwarheit der Warheit aͤhnlich ſey.

Niemand muß ihm aber die Meinung ſchoͤpfen/ als ob die
Poeterey mit lauter Vnwarheiten uͤmgienge/ und beſtuͤnde bloß in
ihr ſelber/ da ſie doch alle andere Kuͤnſte und Wiſſenſchafften in ſich
haͤlt.

Es muß ein Poet ein vielwiſſender/ in den Sprachen durch trie-
bener und allerdinge erfahrner Mann ſeyn: Er hebet die Laſt ſeines
Leibes von der Erden/ er durch wandert mit ſeinen Gedanken die Laͤn-
der der Himmel/ die Straſſen der Kreiſe/ die Sitze der Planeten/ die
Grentzen der Sterne/ die Staͤnde der Elementen. Ja er ſchwinget
die Fluͤgel ſeiner Sinne/ und fleucht an die Stellen/ da es regnet und
ſchneiet/ nebelt und hagelt/ ſtuͤrmet und ſtreitet. Er durch kreucht
den Bauch der Erden/ er durch waͤdet die Tiefen/ ſchoͤpffet ſcharffe Ge-
danken/ geziemende zierliche Worte lebendige Beſchreibungen/ nach-
ſinnige Erfindungen/ wolklingende Bindarten/ ungezwurgene Ein-
faͤlle/ meiſterliche Ausſchmuͤkkungen/ ſeltene Lieblichkeiten/ und ver-
nuͤnfftige Neurungen.

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Stil-
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[[5]/0019] der Teutſchen Poeterey. Bey den Roͤmern iſt Virgil in ſolchem Anſehen geweſen/ daß/ wann man ſeine Verſe oͤffentlich verleſen/ das gantze Volk/ aus ſonderlicher Wuͤrdigung/ aufgeſtanden/ und ihm/ wann er gegenwaͤrtig ge- weſen/ ſolche Ehre/ als Kaͤiſer Auguſto ſelbſten/ wiederfahren/ wie Quintilian bezeuget. Die jenigen hingegen/ die etwas/ wie es an ihm ſelber/ abgehan- delt/ ſind Saͤnger oder Verſmacher genennet worden. Solche Meinung zu behaubten/ verſtaͤrket uns jener Knecht bey dem Schauſpielſchreiber Plautus/ wann er ſaget: Wie der Poet die Tafel nimt zur Hand/ Vnd ſuchet das/ was nirgend iſt im Land/ Vnd findets auch/ der macht/ daß Laͤpperey Der Vnwarheit der Warheit aͤhnlich ſey. Niemand muß ihm aber die Meinung ſchoͤpfen/ als ob die Poeterey mit lauter Vnwarheiten uͤmgienge/ und beſtuͤnde bloß in ihr ſelber/ da ſie doch alle andere Kuͤnſte und Wiſſenſchafften in ſich haͤlt. Es muß ein Poet ein vielwiſſender/ in den Sprachen durch trie- bener und allerdinge erfahrner Mann ſeyn: Er hebet die Laſt ſeines Leibes von der Erden/ er durch wandert mit ſeinen Gedanken die Laͤn- der der Himmel/ die Straſſen der Kreiſe/ die Sitze der Planeten/ die Grentzen der Sterne/ die Staͤnde der Elementen. Ja er ſchwinget die Fluͤgel ſeiner Sinne/ und fleucht an die Stellen/ da es regnet und ſchneiet/ nebelt und hagelt/ ſtuͤrmet und ſtreitet. Er durch kreucht den Bauch der Erden/ er durch waͤdet die Tiefen/ ſchoͤpffet ſcharffe Ge- danken/ geziemende zierliche Worte lebendige Beſchreibungen/ nach- ſinnige Erfindungen/ wolklingende Bindarten/ ungezwurgene Ein- faͤlle/ meiſterliche Ausſchmuͤkkungen/ ſeltene Lieblichkeiten/ und ver- nuͤnfftige Neurungen. Wie bey den Lateinern/ Griech halt mirs zu gut/ daß ich dich mit Stil- B iij

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Zitationshilfe: Klaj, Johann: Lobrede der Teutschen Poeterey. Nürnberg, 1645, S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klaj_lobrede_1645/19>, abgerufen am 19.04.2024.