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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nur einen einzigen Ton falsch spielen, indeß Einer auf dem Klavier gleich eine Handvoll Dissonanzen greift. Man schämt sich vor sich selbst, daß man eine solche Ohrenmißhandlung um des Dings willen aushält, das Existenz genannt wird bei den Philistern.

Und diese Wuth, die jetzt unter die Satans-Dilettanten gefahren ist, Klavier und nur Klavier zu spielen! sagte ein Harfenist. Alle Klavierlehrer prosperiren in dieser Stadt, während ich meine Harfe an die Weiden Babylons hängen müßte, wenn sie nicht hie und da im Orchester aus ihrer Verschollenheit ans Licht gerufen würde!

Man kann nicht behaupten, daß es den Klavierlehrern hier so leicht gelänge, wandte der Erste ein; ich habe als frischer Ankömmling mein Erspartes zusetzen und endlich für einen Spottpreis meine kostbare Zeit aufopfern müssen, bis ich in die Mode kam, und da ging's gut. Keiner will es mit einem ungeprüften Lehrer versuchen, und immer heißt es: man muß erst sehen, ob sich seine Methode bewährt. Die alten ansässigen Meister haben auch dann noch, wenn sie anerkannt faul neben den Schülern sitzen, mehr das Vertrauen, als ein junger noch selbststrebender. Und doch sind in der Regel die letztern die eifrigsten und gewissenhaftesten Lehrer.

Ob denn wohl die Fräulein Ida Fernhofer Stunden bekommen hat, über deren lakonische Anzeige im

nur einen einzigen Ton falsch spielen, indeß Einer auf dem Klavier gleich eine Handvoll Dissonanzen greift. Man schämt sich vor sich selbst, daß man eine solche Ohrenmißhandlung um des Dings willen aushält, das Existenz genannt wird bei den Philistern.

Und diese Wuth, die jetzt unter die Satans-Dilettanten gefahren ist, Klavier und nur Klavier zu spielen! sagte ein Harfenist. Alle Klavierlehrer prosperiren in dieser Stadt, während ich meine Harfe an die Weiden Babylons hängen müßte, wenn sie nicht hie und da im Orchester aus ihrer Verschollenheit ans Licht gerufen würde!

Man kann nicht behaupten, daß es den Klavierlehrern hier so leicht gelänge, wandte der Erste ein; ich habe als frischer Ankömmling mein Erspartes zusetzen und endlich für einen Spottpreis meine kostbare Zeit aufopfern müssen, bis ich in die Mode kam, und da ging's gut. Keiner will es mit einem ungeprüften Lehrer versuchen, und immer heißt es: man muß erst sehen, ob sich seine Methode bewährt. Die alten ansässigen Meister haben auch dann noch, wenn sie anerkannt faul neben den Schülern sitzen, mehr das Vertrauen, als ein junger noch selbststrebender. Und doch sind in der Regel die letztern die eifrigsten und gewissenhaftesten Lehrer.

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[0048] nur einen einzigen Ton falsch spielen, indeß Einer auf dem Klavier gleich eine Handvoll Dissonanzen greift. Man schämt sich vor sich selbst, daß man eine solche Ohrenmißhandlung um des Dings willen aushält, das Existenz genannt wird bei den Philistern. Und diese Wuth, die jetzt unter die Satans-Dilettanten gefahren ist, Klavier und nur Klavier zu spielen! sagte ein Harfenist. Alle Klavierlehrer prosperiren in dieser Stadt, während ich meine Harfe an die Weiden Babylons hängen müßte, wenn sie nicht hie und da im Orchester aus ihrer Verschollenheit ans Licht gerufen würde! Man kann nicht behaupten, daß es den Klavierlehrern hier so leicht gelänge, wandte der Erste ein; ich habe als frischer Ankömmling mein Erspartes zusetzen und endlich für einen Spottpreis meine kostbare Zeit aufopfern müssen, bis ich in die Mode kam, und da ging's gut. Keiner will es mit einem ungeprüften Lehrer versuchen, und immer heißt es: man muß erst sehen, ob sich seine Methode bewährt. Die alten ansässigen Meister haben auch dann noch, wenn sie anerkannt faul neben den Schülern sitzen, mehr das Vertrauen, als ein junger noch selbststrebender. Und doch sind in der Regel die letztern die eifrigsten und gewissenhaftesten Lehrer. Ob denn wohl die Fräulein Ida Fernhofer Stunden bekommen hat, über deren lakonische Anzeige im

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/48>, abgerufen am 29.03.2024.