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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Nein, lieber verschmäht werden, lieber lächerlich vor der Welt, als kalt berechnen!

Halten Sie das, wie Sie wollen, nur mit dem Einen Punkte, mit dem Rufe, spaßen Sie nicht; dies ist mein letzter guter Rath.

Mit diesen Worten entfernte sie sich und ließ Ida in einer rechten Seelenfolter zurück. Sie war an diesem Abend zu keinem hellen Gedanken fähig. Der rauhe Eingriff in ihr Liebesheiligthum hatte ihr die Reinheit der Seele getrübt. Sie war so beschämt, als hätte sie selbst und nicht Frau Werl vom Heirathen gesprochen. Ihr Klavier mochte sie nicht anrühren. Die Variationen, die sie sich gelobt hatte durch kein neues Studium zu unterbrechen, widerten sie an; ihre Lieblingsstücke konnten sie nicht trösten, denn die waren es ja, die sie mit ihm entzweit hatten; und ach, die letzte Zuflucht des wunden Herzens, sein Bild heraufzubeschwören, von ihm zu träumen, war ihr genommen. Wohl hatte sie die Kühle und Förmlichkeit des heutigen Abschieds empfunden. Es stand etwas zwischen ihnen, und so gern sie ihn wiedergesehen hätte, um den bösen Zauber zu zerreißen, nach dem verwirrenden Gerede der Frau Werl wäre es ihr unmöglich gewesen, sein Haus unbefangen zu betreten.

Diesmal vergingen einige Tage, bis ein Billet des Grafen ihr ankündigte, daß er, durch ein leichtes Unwohlsein ans Zimmer gefesselt, sich sehr nach ihrer Gegenwart sehne.

Nein, lieber verschmäht werden, lieber lächerlich vor der Welt, als kalt berechnen!

Halten Sie das, wie Sie wollen, nur mit dem Einen Punkte, mit dem Rufe, spaßen Sie nicht; dies ist mein letzter guter Rath.

Mit diesen Worten entfernte sie sich und ließ Ida in einer rechten Seelenfolter zurück. Sie war an diesem Abend zu keinem hellen Gedanken fähig. Der rauhe Eingriff in ihr Liebesheiligthum hatte ihr die Reinheit der Seele getrübt. Sie war so beschämt, als hätte sie selbst und nicht Frau Werl vom Heirathen gesprochen. Ihr Klavier mochte sie nicht anrühren. Die Variationen, die sie sich gelobt hatte durch kein neues Studium zu unterbrechen, widerten sie an; ihre Lieblingsstücke konnten sie nicht trösten, denn die waren es ja, die sie mit ihm entzweit hatten; und ach, die letzte Zuflucht des wunden Herzens, sein Bild heraufzubeschwören, von ihm zu träumen, war ihr genommen. Wohl hatte sie die Kühle und Förmlichkeit des heutigen Abschieds empfunden. Es stand etwas zwischen ihnen, und so gern sie ihn wiedergesehen hätte, um den bösen Zauber zu zerreißen, nach dem verwirrenden Gerede der Frau Werl wäre es ihr unmöglich gewesen, sein Haus unbefangen zu betreten.

Diesmal vergingen einige Tage, bis ein Billet des Grafen ihr ankündigte, daß er, durch ein leichtes Unwohlsein ans Zimmer gefesselt, sich sehr nach ihrer Gegenwart sehne.

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[0035] Nein, lieber verschmäht werden, lieber lächerlich vor der Welt, als kalt berechnen! Halten Sie das, wie Sie wollen, nur mit dem Einen Punkte, mit dem Rufe, spaßen Sie nicht; dies ist mein letzter guter Rath. Mit diesen Worten entfernte sie sich und ließ Ida in einer rechten Seelenfolter zurück. Sie war an diesem Abend zu keinem hellen Gedanken fähig. Der rauhe Eingriff in ihr Liebesheiligthum hatte ihr die Reinheit der Seele getrübt. Sie war so beschämt, als hätte sie selbst und nicht Frau Werl vom Heirathen gesprochen. Ihr Klavier mochte sie nicht anrühren. Die Variationen, die sie sich gelobt hatte durch kein neues Studium zu unterbrechen, widerten sie an; ihre Lieblingsstücke konnten sie nicht trösten, denn die waren es ja, die sie mit ihm entzweit hatten; und ach, die letzte Zuflucht des wunden Herzens, sein Bild heraufzubeschwören, von ihm zu träumen, war ihr genommen. Wohl hatte sie die Kühle und Förmlichkeit des heutigen Abschieds empfunden. Es stand etwas zwischen ihnen, und so gern sie ihn wiedergesehen hätte, um den bösen Zauber zu zerreißen, nach dem verwirrenden Gerede der Frau Werl wäre es ihr unmöglich gewesen, sein Haus unbefangen zu betreten. Diesmal vergingen einige Tage, bis ein Billet des Grafen ihr ankündigte, daß er, durch ein leichtes Unwohlsein ans Zimmer gefesselt, sich sehr nach ihrer Gegenwart sehne.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/35>, abgerufen am 28.03.2024.