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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Vortrags ihm ihr ganzes Sein zu Füßen zu legen strebte. Nichts Leichtfertiges lag in diesem Spiel mit den Tönen. Indem sie nur das Edelste, was die Kunst im leidenschaftlichen Stil geschaffen, zum Aussprechen ihrer Gefühle erwählte, erschienen diese dichterisch verklärt und geadelt.

Wie ein Donnerschlag traf es sie, als Selvar ihr vorschlug, Variationen von Herz über ein Thema von Rossini einzustudiren. Er hatte sie in einem Concert gehört und war davon ungemein entzückt.

Die junge Gräfin, die bemerkte, wie Ida stutzte, fiel ein: Man ist doch endlich des langweiligen Beethoven müde, und Ihr Repertoire würde durch etwas Mannichfaltigkeit sehr gewinnen.

Ida sprach mit gewohnter Heftigkeit ihre Verachtung aller bloßen Variationen-Schmiede aus und erklärte, daß Herz in der Kunst auf der untersten Stufe stehe, ja streng genommen er und seines Gleichen gar nicht mitzählten.

Der Graf wollte begütigen: Meine Freundin, sagte er sanft, Sie sind allzu extrem. Man muß gegen alle Leistungen gerecht sein. Ich höre sehr gerne Beethoven, aber Rossini macht mir eben so viel Vergnügen. Vollkommen liebenswürdig würden Sie handeln, wenn Sie mir zu Liebe jetzt die moderne italienische Musik eben so eifrig studiren wollten, als ich Ihnen bisher treu in die Labyrinthe der classischen deutschen gefolgt bin.

Vortrags ihm ihr ganzes Sein zu Füßen zu legen strebte. Nichts Leichtfertiges lag in diesem Spiel mit den Tönen. Indem sie nur das Edelste, was die Kunst im leidenschaftlichen Stil geschaffen, zum Aussprechen ihrer Gefühle erwählte, erschienen diese dichterisch verklärt und geadelt.

Wie ein Donnerschlag traf es sie, als Selvar ihr vorschlug, Variationen von Herz über ein Thema von Rossini einzustudiren. Er hatte sie in einem Concert gehört und war davon ungemein entzückt.

Die junge Gräfin, die bemerkte, wie Ida stutzte, fiel ein: Man ist doch endlich des langweiligen Beethoven müde, und Ihr Repertoire würde durch etwas Mannichfaltigkeit sehr gewinnen.

Ida sprach mit gewohnter Heftigkeit ihre Verachtung aller bloßen Variationen-Schmiede aus und erklärte, daß Herz in der Kunst auf der untersten Stufe stehe, ja streng genommen er und seines Gleichen gar nicht mitzählten.

Der Graf wollte begütigen: Meine Freundin, sagte er sanft, Sie sind allzu extrem. Man muß gegen alle Leistungen gerecht sein. Ich höre sehr gerne Beethoven, aber Rossini macht mir eben so viel Vergnügen. Vollkommen liebenswürdig würden Sie handeln, wenn Sie mir zu Liebe jetzt die moderne italienische Musik eben so eifrig studiren wollten, als ich Ihnen bisher treu in die Labyrinthe der classischen deutschen gefolgt bin.

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[0024] Vortrags ihm ihr ganzes Sein zu Füßen zu legen strebte. Nichts Leichtfertiges lag in diesem Spiel mit den Tönen. Indem sie nur das Edelste, was die Kunst im leidenschaftlichen Stil geschaffen, zum Aussprechen ihrer Gefühle erwählte, erschienen diese dichterisch verklärt und geadelt. Wie ein Donnerschlag traf es sie, als Selvar ihr vorschlug, Variationen von Herz über ein Thema von Rossini einzustudiren. Er hatte sie in einem Concert gehört und war davon ungemein entzückt. Die junge Gräfin, die bemerkte, wie Ida stutzte, fiel ein: Man ist doch endlich des langweiligen Beethoven müde, und Ihr Repertoire würde durch etwas Mannichfaltigkeit sehr gewinnen. Ida sprach mit gewohnter Heftigkeit ihre Verachtung aller bloßen Variationen-Schmiede aus und erklärte, daß Herz in der Kunst auf der untersten Stufe stehe, ja streng genommen er und seines Gleichen gar nicht mitzählten. Der Graf wollte begütigen: Meine Freundin, sagte er sanft, Sie sind allzu extrem. Man muß gegen alle Leistungen gerecht sein. Ich höre sehr gerne Beethoven, aber Rossini macht mir eben so viel Vergnügen. Vollkommen liebenswürdig würden Sie handeln, wenn Sie mir zu Liebe jetzt die moderne italienische Musik eben so eifrig studiren wollten, als ich Ihnen bisher treu in die Labyrinthe der classischen deutschen gefolgt bin.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/24>, abgerufen am 20.04.2024.