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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Tag (wenigstens ein ihm sehr verwandter Zustand) vor-
kommt, davon mögen den geneigten Leser die hier aufge-
führten Erfahrungen überzeugen.

Auffallend mag es auch dem Bibelgläubigen seyn, daß in
mehreren dieser neuen Erfahrungen von Besessenseyn der Dä-
mon des Besessenen sich nicht für einen wirklichen Teufel, son-
dern für den Geist eines unselig verstorbenen Menschen, der von
diesem fremden Leibe Besitz genommen, ausgibt; auffallend
wird es ihm seyn, weil die Dämonen der Besessenen im neuen
Testamente, wenigstens in Luthers Uebersetzung, immer Teufel
genannt werden. Um so merkwürdiger ist aber, daß schon
frühere Schriftsteller über Besessene, z. E. der Engländer
Hugo Farmer *), die wohl keine eigenen Erfahrungen
von Besessenen gemacht haben, auch sonst ganz im Sinne
des Rationalismus über sie urtheilen, blos in Folge ihrer
literarischen Kenntnisse, die Behauptung aufstellten, auch
der Heiland und die Jünger hätten unter den Dämonen
der Besessenen nicht Teufel -- sondern Geister böser ver-
storbener Menschen, verstanden.

Ihre Gründe sind folgende: Die Geister, die von den
menschlichen Leibern sollen Besitz genommen haben, werden
im neuen Testamente nicht Teufel (Diaboloi), sondern Dä-
monen genannt (Daimones), und das Wort Dämonen wird
nie in der mehreren Zahl bösen Geistern (Teufeln) beyge-
legt, wie Alle zugeben, was auch immerhin sein Gebrauch
in der einfachen Zahl seyn mag. Josephus, ein naher Zeit-
genosse von den Aposteln, sagt ausdrücklich, daß die Dä-
monen Geister böser Menschen wären, die von den Leben-
digen Besitz nehmen. Es ist auch anzunehmen, daß die
Schriftsteller des neuen Testamentes durch Dämonen (wenn
sie bey Besitzungen vorkommen) solche menschliche Geister
verstanden, von denen man glaubte, daß sie nach dem Tode
Dämonen würden. Justinus Martyr, der auch um die

*) Siehe Hugo Farmers Versuch über die Dämonischen des neuen
Testamentes.

Tag (wenigſtens ein ihm ſehr verwandter Zuſtand) vor-
kommt, davon mögen den geneigten Leſer die hier aufge-
führten Erfahrungen überzeugen.

Auffallend mag es auch dem Bibelgläubigen ſeyn, daß in
mehreren dieſer neuen Erfahrungen von Beſeſſenſeyn der Dä-
mon des Beſeſſenen ſich nicht für einen wirklichen Teufel, ſon-
dern für den Geiſt eines unſelig verſtorbenen Menſchen, der von
dieſem fremden Leibe Beſitz genommen, ausgibt; auffallend
wird es ihm ſeyn, weil die Dämonen der Beſeſſenen im neuen
Teſtamente, wenigſtens in Luthers Ueberſetzung, immer Teufel
genannt werden. Um ſo merkwürdiger iſt aber, daß ſchon
frühere Schriftſteller über Beſeſſene, z. E. der Engländer
Hugo Farmer *), die wohl keine eigenen Erfahrungen
von Beſeſſenen gemacht haben, auch ſonſt ganz im Sinne
des Rationalismus über ſie urtheilen, blos in Folge ihrer
literariſchen Kenntniſſe, die Behauptung aufſtellten, auch
der Heiland und die Jünger hätten unter den Dämonen
der Beſeſſenen nicht Teufel — ſondern Geiſter böſer ver-
ſtorbener Menſchen, verſtanden.

Ihre Gründe ſind folgende: Die Geiſter, die von den
menſchlichen Leibern ſollen Beſitz genommen haben, werden
im neuen Teſtamente nicht Teufel (Διαβολοι), ſondern Dä-
monen genannt (Δαιμονες), und das Wort Dämonen wird
nie in der mehreren Zahl böſen Geiſtern (Teufeln) beyge-
legt, wie Alle zugeben, was auch immerhin ſein Gebrauch
in der einfachen Zahl ſeyn mag. Joſephus, ein naher Zeit-
genoſſe von den Apoſteln, ſagt ausdrücklich, daß die Dä-
monen Geiſter böſer Menſchen wären, die von den Leben-
digen Beſitz nehmen. Es iſt auch anzunehmen, daß die
Schriftſteller des neuen Teſtamentes durch Dämonen (wenn
ſie bey Beſitzungen vorkommen) ſolche menſchliche Geiſter
verſtanden, von denen man glaubte, daß ſie nach dem Tode
Dämonen würden. Juſtinus Martyr, der auch um die

*) Siehe Hugo Farmers Verſuch über die Dämoniſchen des neuen
Teſtamentes.
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[14/0028] Tag (wenigſtens ein ihm ſehr verwandter Zuſtand) vor- kommt, davon mögen den geneigten Leſer die hier aufge- führten Erfahrungen überzeugen. Auffallend mag es auch dem Bibelgläubigen ſeyn, daß in mehreren dieſer neuen Erfahrungen von Beſeſſenſeyn der Dä- mon des Beſeſſenen ſich nicht für einen wirklichen Teufel, ſon- dern für den Geiſt eines unſelig verſtorbenen Menſchen, der von dieſem fremden Leibe Beſitz genommen, ausgibt; auffallend wird es ihm ſeyn, weil die Dämonen der Beſeſſenen im neuen Teſtamente, wenigſtens in Luthers Ueberſetzung, immer Teufel genannt werden. Um ſo merkwürdiger iſt aber, daß ſchon frühere Schriftſteller über Beſeſſene, z. E. der Engländer Hugo Farmer *), die wohl keine eigenen Erfahrungen von Beſeſſenen gemacht haben, auch ſonſt ganz im Sinne des Rationalismus über ſie urtheilen, blos in Folge ihrer literariſchen Kenntniſſe, die Behauptung aufſtellten, auch der Heiland und die Jünger hätten unter den Dämonen der Beſeſſenen nicht Teufel — ſondern Geiſter böſer ver- ſtorbener Menſchen, verſtanden. Ihre Gründe ſind folgende: Die Geiſter, die von den menſchlichen Leibern ſollen Beſitz genommen haben, werden im neuen Teſtamente nicht Teufel (Διαβολοι), ſondern Dä- monen genannt (Δαιμονες), und das Wort Dämonen wird nie in der mehreren Zahl böſen Geiſtern (Teufeln) beyge- legt, wie Alle zugeben, was auch immerhin ſein Gebrauch in der einfachen Zahl ſeyn mag. Joſephus, ein naher Zeit- genoſſe von den Apoſteln, ſagt ausdrücklich, daß die Dä- monen Geiſter böſer Menſchen wären, die von den Leben- digen Beſitz nehmen. Es iſt auch anzunehmen, daß die Schriftſteller des neuen Teſtamentes durch Dämonen (wenn ſie bey Beſitzungen vorkommen) ſolche menſchliche Geiſter verſtanden, von denen man glaubte, daß ſie nach dem Tode Dämonen würden. Juſtinus Martyr, der auch um die *) Siehe Hugo Farmers Verſuch über die Dämoniſchen des neuen Teſtamentes.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/28>, abgerufen am 19.04.2024.