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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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sind, wenn kein natürliches Mittel, keine gewöhnliche Arzney
bey ihm anschlägt *).

Sauvages sagt: "Mehrere Kennzeichen eines wahren
Besessenseyns, durch die dasselbe von einem solchen zu er-
kennen ist, hat uns Hoffmann überliefert. Erstens: nicht
allein erschrecklicher Ton der Stimme, bewunderungswür-
dige und ungewohnte Bewegungen des Körpers, sondern
zweytens auch wunderbare Convulsionen, die sich plötzlich
und ohne vorangegangene Krankheit einstellen; drittens:
Gotteslästerungen, Verdrehung des göttlichen Wortes, ob-
scöne Reden; viertens: Wissen verborgener Dinge und be-
sonders zukünftiger; fünftens: Wissen fremder Sprachen;
sechstens: Erbrechen von sonderbaren Dingen, wie z. E.
Haare, Kieselsteine u. s. w., die mit ungeheurer Auftrei-
bung des Bauches aus dem Munde geworfen werden." --

Ich führe diese Stellen besonders auch deßwegen an, um
zu zeigen, daß man zu dieser Zeit das Besessenseyn wohl
von anderer natürlicher Krankheit zu unterscheiden wußte,
und es durch geistliche Mittel, nicht durch leibliche, heilte.

Dieses Besessenseyn, wie es auch jetzt noch, mehr als man
denkt, vorkommt, ist auch von einer durch natürliche körperliche
Ursachen entstandenen Epilepsie und Manie gar wohl zu
unterscheiden, und ist durchaus etwas ganz Anderes, als
diese.

Bey Besessenen sehen wir allerdings auch, wie bey Epi-
leptischen, convulsivische Bewegungen des Körpers, Nieder-
fallen, Schlegeln u. s. w. Bey der Epilepsie bemächtigt sich
aber nicht ein ganz fremder, in all seinem Sprechen und
Thun durchaus anderer teuflischer Geist, des Individuums,
nimmt den Sitz seiner Seele ein und besorgt ihre verschie-
denen Verrichtungen ganz im Sinne der Hölle, bis dieser
Dämon gleichsam von dem Schutzgeiste des Individuums nie-
dergedrückt, eine Zeit lang wieder gebunden wird, jedoch

*) S. Manuale selectiss. benedict. per C. Fritz. MDCCXXXVII.
u. Thesaurus a Gelasio di Cilia. 1756.

ſind, wenn kein natürliches Mittel, keine gewöhnliche Arzney
bey ihm anſchlägt *).

Sauvages ſagt: „Mehrere Kennzeichen eines wahren
Beſeſſenſeyns, durch die daſſelbe von einem ſolchen zu er-
kennen iſt, hat uns Hoffmann überliefert. Erſtens: nicht
allein erſchrecklicher Ton der Stimme, bewunderungswür-
dige und ungewohnte Bewegungen des Körpers, ſondern
zweytens auch wunderbare Convulſionen, die ſich plötzlich
und ohne vorangegangene Krankheit einſtellen; drittens:
Gottesläſterungen, Verdrehung des göttlichen Wortes, ob-
ſcöne Reden; viertens: Wiſſen verborgener Dinge und be-
ſonders zukünftiger; fünftens: Wiſſen fremder Sprachen;
ſechstens: Erbrechen von ſonderbaren Dingen, wie z. E.
Haare, Kieſelſteine u. ſ. w., die mit ungeheurer Auftrei-
bung des Bauches aus dem Munde geworfen werden.“ —

Ich führe dieſe Stellen beſonders auch deßwegen an, um
zu zeigen, daß man zu dieſer Zeit das Beſeſſenſeyn wohl
von anderer natürlicher Krankheit zu unterſcheiden wußte,
und es durch geiſtliche Mittel, nicht durch leibliche, heilte.

Dieſes Beſeſſenſeyn, wie es auch jetzt noch, mehr als man
denkt, vorkommt, iſt auch von einer durch natürliche körperliche
Urſachen entſtandenen Epilepſie und Manie gar wohl zu
unterſcheiden, und iſt durchaus etwas ganz Anderes, als
dieſe.

Bey Beſeſſenen ſehen wir allerdings auch, wie bey Epi-
leptiſchen, convulſiviſche Bewegungen des Körpers, Nieder-
fallen, Schlegeln u. ſ. w. Bey der Epilepſie bemächtigt ſich
aber nicht ein ganz fremder, in all ſeinem Sprechen und
Thun durchaus anderer teufliſcher Geiſt, des Individuums,
nimmt den Sitz ſeiner Seele ein und beſorgt ihre verſchie-
denen Verrichtungen ganz im Sinne der Hölle, bis dieſer
Dämon gleichſam von dem Schutzgeiſte des Individuums nie-
dergedrückt, eine Zeit lang wieder gebunden wird, jedoch

*) S. Manuale selectiss. benedict. per C. Fritz. MDCCXXXVII.
u. Thesaurus à Gelasio di Cilia. 1756.
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[8/0022] ſind, wenn kein natürliches Mittel, keine gewöhnliche Arzney bey ihm anſchlägt *). Sauvages ſagt: „Mehrere Kennzeichen eines wahren Beſeſſenſeyns, durch die daſſelbe von einem ſolchen zu er- kennen iſt, hat uns Hoffmann überliefert. Erſtens: nicht allein erſchrecklicher Ton der Stimme, bewunderungswür- dige und ungewohnte Bewegungen des Körpers, ſondern zweytens auch wunderbare Convulſionen, die ſich plötzlich und ohne vorangegangene Krankheit einſtellen; drittens: Gottesläſterungen, Verdrehung des göttlichen Wortes, ob- ſcöne Reden; viertens: Wiſſen verborgener Dinge und be- ſonders zukünftiger; fünftens: Wiſſen fremder Sprachen; ſechstens: Erbrechen von ſonderbaren Dingen, wie z. E. Haare, Kieſelſteine u. ſ. w., die mit ungeheurer Auftrei- bung des Bauches aus dem Munde geworfen werden.“ — Ich führe dieſe Stellen beſonders auch deßwegen an, um zu zeigen, daß man zu dieſer Zeit das Beſeſſenſeyn wohl von anderer natürlicher Krankheit zu unterſcheiden wußte, und es durch geiſtliche Mittel, nicht durch leibliche, heilte. Dieſes Beſeſſenſeyn, wie es auch jetzt noch, mehr als man denkt, vorkommt, iſt auch von einer durch natürliche körperliche Urſachen entſtandenen Epilepſie und Manie gar wohl zu unterſcheiden, und iſt durchaus etwas ganz Anderes, als dieſe. Bey Beſeſſenen ſehen wir allerdings auch, wie bey Epi- leptiſchen, convulſiviſche Bewegungen des Körpers, Nieder- fallen, Schlegeln u. ſ. w. Bey der Epilepſie bemächtigt ſich aber nicht ein ganz fremder, in all ſeinem Sprechen und Thun durchaus anderer teufliſcher Geiſt, des Individuums, nimmt den Sitz ſeiner Seele ein und beſorgt ihre verſchie- denen Verrichtungen ganz im Sinne der Hölle, bis dieſer Dämon gleichſam von dem Schutzgeiſte des Individuums nie- dergedrückt, eine Zeit lang wieder gebunden wird, jedoch *) S. Manuale selectiss. benedict. per C. Fritz. MDCCXXXVII. u. Thesaurus à Gelasio di Cilia. 1756.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/22>, abgerufen am 29.03.2024.