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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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daß er kam, und eben so der zweite und dritte
Tag. Die Mutter und Estherchen geriethen in
große Angst und Noth; sie sahen wohl, daß er
vorsätzlich davon gegangen, indem er seine Hab¬
seligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬
ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬
los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken,
und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬
krazius verschwunden war und blieb, ergaben sie
sich mit trauriger Seele in ihr Schicksal, das
ihnen nun doppelt einsam und arm erschien.

Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur
ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen,
die man liebt, jetzt stehn und gehn, wenn eine
solche Stille darüber durch die Welt herrscht,
daß allnirgends auch nur der leiseste Hauch von
ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, sie
sind da und athmen irgendwo.

So erging es der Mutter und dem Esther¬
lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre,
einen Tag wie den andern, und sie wußten
nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig sei.
Das war ein langes und gründliches Schmollen
und Estherchen, welches eine schöne Jungfrau

daß er kam, und eben ſo der zweite und dritte
Tag. Die Mutter und Eſtherchen geriethen in
große Angſt und Noth; ſie ſahen wohl, daß er
vorſätzlich davon gegangen, indem er ſeine Hab¬
ſeligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬
ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬
los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken,
und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬
krazius verſchwunden war und blieb, ergaben ſie
ſich mit trauriger Seele in ihr Schickſal, das
ihnen nun doppelt einſam und arm erſchien.

Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur
ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen,
die man liebt, jetzt ſtehn und gehn, wenn eine
ſolche Stille darüber durch die Welt herrſcht,
daß allnirgends auch nur der leiſeſte Hauch von
ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, ſie
ſind da und athmen irgendwo.

So erging es der Mutter und dem Eſther¬
lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre,
einen Tag wie den andern, und ſie wußten
nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig ſei.
Das war ein langes und gründliches Schmollen
und Eſtherchen, welches eine ſchöne Jungfrau

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[18/0030] daß er kam, und eben ſo der zweite und dritte Tag. Die Mutter und Eſtherchen geriethen in große Angſt und Noth; ſie ſahen wohl, daß er vorſätzlich davon gegangen, indem er ſeine Hab¬ ſeligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬ ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬ los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬ krazius verſchwunden war und blieb, ergaben ſie ſich mit trauriger Seele in ihr Schickſal, das ihnen nun doppelt einſam und arm erſchien. Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen, die man liebt, jetzt ſtehn und gehn, wenn eine ſolche Stille darüber durch die Welt herrſcht, daß allnirgends auch nur der leiſeſte Hauch von ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, ſie ſind da und athmen irgendwo. So erging es der Mutter und dem Eſther¬ lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und ſie wußten nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig ſei. Das war ein langes und gründliches Schmollen und Eſtherchen, welches eine ſchöne Jungfrau

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/30>, abgerufen am 29.03.2024.