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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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schwärmten sie allein für das eidgenössische Bun¬
desleben und waren höchlich empört, daß man
Anno 48 nicht gänzliche Einheit hergestellt habe;
heute sind sie ganz versessen auf die Kantonal¬
souveränetät und haben nicht mehr in den Na¬
tionalrath gewählt.

Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Mo¬
tionen der Landesmehrheit störend und unbequem
wird, so schickt ihnen die Regierung gewöhn¬
lich als Beruhigungsmittel eine Untersuchungs¬
kommission auf den Hals, welche die Verwaltung
des Seldwyler Gemeindegutes reguliren soll; dann
haben sie vollauf mit sich selbst zu thun und die
Gefahr ist abgeleitet.

Alles dies macht ihnen tausend Spaß, der
nur überboten wird, wenn sie allherbstlich ihren
jungen Wein trinken, den gährenden Most, den
sie Sauser nennen; wenn er gut ist, so ist man
des Lebens nicht sicher unter ihnen, und sie ma¬
chen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet
nach jungem Wein und die Seldwyler taugen
dann auch gar nichts. Je weniger aber ein
Seldwyler zu Hause was taugt, um so besser
hält er sich sonderbarer Weise, wenn er ausrückt,

ſchwärmten ſie allein für das eidgenöſſiſche Bun¬
desleben und waren höchlich empört, daß man
Anno 48 nicht gänzliche Einheit hergeſtellt habe;
heute ſind ſie ganz verſeſſen auf die Kantonal¬
ſouveränetät und haben nicht mehr in den Na¬
tionalrath gewählt.

Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Mo¬
tionen der Landesmehrheit ſtörend und unbequem
wird, ſo ſchickt ihnen die Regierung gewöhn¬
lich als Beruhigungsmittel eine Unterſuchungs¬
kommiſſion auf den Hals, welche die Verwaltung
des Seldwyler Gemeindegutes reguliren ſoll; dann
haben ſie vollauf mit ſich ſelbſt zu thun und die
Gefahr iſt abgeleitet.

Alles dies macht ihnen tauſend Spaß, der
nur überboten wird, wenn ſie allherbſtlich ihren
jungen Wein trinken, den gährenden Moſt, den
ſie Sauſer nennen; wenn er gut iſt, ſo iſt man
des Lebens nicht ſicher unter ihnen, und ſie ma¬
chen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet
nach jungem Wein und die Seldwyler taugen
dann auch gar nichts. Je weniger aber ein
Seldwyler zu Hauſe was taugt, um ſo beſſer
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[7/0019] ſchwärmten ſie allein für das eidgenöſſiſche Bun¬ desleben und waren höchlich empört, daß man Anno 48 nicht gänzliche Einheit hergeſtellt habe; heute ſind ſie ganz verſeſſen auf die Kantonal¬ ſouveränetät und haben nicht mehr in den Na¬ tionalrath gewählt. Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Mo¬ tionen der Landesmehrheit ſtörend und unbequem wird, ſo ſchickt ihnen die Regierung gewöhn¬ lich als Beruhigungsmittel eine Unterſuchungs¬ kommiſſion auf den Hals, welche die Verwaltung des Seldwyler Gemeindegutes reguliren ſoll; dann haben ſie vollauf mit ſich ſelbſt zu thun und die Gefahr iſt abgeleitet. Alles dies macht ihnen tauſend Spaß, der nur überboten wird, wenn ſie allherbſtlich ihren jungen Wein trinken, den gährenden Moſt, den ſie Sauſer nennen; wenn er gut iſt, ſo iſt man des Lebens nicht ſicher unter ihnen, und ſie ma¬ chen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet nach jungem Wein und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts. Je weniger aber ein Seldwyler zu Hauſe was taugt, um ſo beſſer hält er ſich ſonderbarer Weiſe, wenn er ausrückt,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/19>, abgerufen am 20.04.2024.