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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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dadurch auszeichnen, daß sie sehr geschickt Fische
zu essen verstehen, in Australien, in Californien,
in Texas, wie in Paris oder Konstantinopel.

Was aber zurückbleibt und am Orte alt wird,
das lernt dann nachträglich arbeiten, und zwar
jene krabbelige Arbeit von tausend kleinen Din¬
gen, die man eigentlich nicht gelernt, für den
täglichen Kreuzer, und die alternden verarmten
Seldwyler mit ihren Weibern und Kindern sind
die emsigsten Leutchen von der Welt, nachdem
sie das erlernte Handwerk aufgegeben, und es ist
rührend anzusehen, wie thätig sie dahinter her
sind, sich die Mittelchen zu einem guten Stückchen
Fleisch von ehedem zu erwerben. Holz haben
alle Bürger die Fülle und die Gemeinde verkauft
jährlich noch einen guten Theil, woraus die große
Armuth unterstützt und genährt wird, und so
steht das alte Städtchen in unveränderlichem
Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer
sind sie im Ganzen zufrieden und munter, und
wenn je ein Schatten ihre Seele trübt, wenn
etwa eine allzuhartnäckige Geldklemme über der
Stadt weilt, so vertreiben sie sich die Zeit und
ermuntern sich durch ihre große politische Beweg¬

dadurch auszeichnen, daß ſie ſehr geſchickt Fiſche
zu eſſen verſtehen, in Auſtralien, in Californien,
in Texas, wie in Paris oder Konſtantinopel.

Was aber zurückbleibt und am Orte alt wird,
das lernt dann nachträglich arbeiten, und zwar
jene krabbelige Arbeit von tauſend kleinen Din¬
gen, die man eigentlich nicht gelernt, für den
täglichen Kreuzer, und die alternden verarmten
Seldwyler mit ihren Weibern und Kindern ſind
die emſigſten Leutchen von der Welt, nachdem
ſie das erlernte Handwerk aufgegeben, und es iſt
rührend anzuſehen, wie thätig ſie dahinter her
ſind, ſich die Mittelchen zu einem guten Stückchen
Fleiſch von ehedem zu erwerben. Holz haben
alle Bürger die Fülle und die Gemeinde verkauft
jährlich noch einen guten Theil, woraus die große
Armuth unterſtützt und genährt wird, und ſo
ſteht das alte Städtchen in unveränderlichem
Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer
ſind ſie im Ganzen zufrieden und munter, und
wenn je ein Schatten ihre Seele trübt, wenn
etwa eine allzuhartnäckige Geldklemme über der
Stadt weilt, ſo vertreiben ſie ſich die Zeit und
ermuntern ſich durch ihre große politiſche Beweg¬

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[4/0016] dadurch auszeichnen, daß ſie ſehr geſchickt Fiſche zu eſſen verſtehen, in Auſtralien, in Californien, in Texas, wie in Paris oder Konſtantinopel. Was aber zurückbleibt und am Orte alt wird, das lernt dann nachträglich arbeiten, und zwar jene krabbelige Arbeit von tauſend kleinen Din¬ gen, die man eigentlich nicht gelernt, für den täglichen Kreuzer, und die alternden verarmten Seldwyler mit ihren Weibern und Kindern ſind die emſigſten Leutchen von der Welt, nachdem ſie das erlernte Handwerk aufgegeben, und es iſt rührend anzuſehen, wie thätig ſie dahinter her ſind, ſich die Mittelchen zu einem guten Stückchen Fleiſch von ehedem zu erwerben. Holz haben alle Bürger die Fülle und die Gemeinde verkauft jährlich noch einen guten Theil, woraus die große Armuth unterſtützt und genährt wird, und ſo ſteht das alte Städtchen in unveränderlichem Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer ſind ſie im Ganzen zufrieden und munter, und wenn je ein Schatten ihre Seele trübt, wenn etwa eine allzuhartnäckige Geldklemme über der Stadt weilt, ſo vertreiben ſie ſich die Zeit und ermuntern ſich durch ihre große politiſche Beweg¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/16>, abgerufen am 28.03.2024.