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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache
einen wonnigen und sonnigen Ort, und so ist
auch in der That das kleine Städtchen dieses
Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Es
steckt noch in den gleichen alten Ringmauern und
Thürmen, wie vor dreihundert Jahren, und ist
also immer das gleiche Nest; daß dies aber ein
tiefer ursprünglicher Plan war, beweis't der Um¬
stand, daß die Gründer der Stadt dieselbe eine
gute halbe Stunde von einem schiffbaren Flusse
angelegt, zum deutlichen Zeichen, daß nichts dar¬
aus werden solle. Aber schön ist sie gelegen mit¬
ten in grünen Bergen, die nach der Mittagseite
zu offen sind, so daß wohl die Sonne herein
kann, aber kein rauhes Lüftchen. Deswegen ge¬
deiht auch ein ziemlich guter Wein rings um die
alte Stadtmauer, während höher hinauf an den
Bergen unabsehbare Waldungen sich hinziehen,

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 1

Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache
einen wonnigen und ſonnigen Ort, und ſo iſt
auch in der That das kleine Städtchen dieſes
Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Es
ſteckt noch in den gleichen alten Ringmauern und
Thürmen, wie vor dreihundert Jahren, und iſt
alſo immer das gleiche Neſt; daß dies aber ein
tiefer urſprünglicher Plan war, beweiſ't der Um¬
ſtand, daß die Gründer der Stadt dieſelbe eine
gute halbe Stunde von einem ſchiffbaren Fluſſe
angelegt, zum deutlichen Zeichen, daß nichts dar¬
aus werden ſolle. Aber ſchön iſt ſie gelegen mit¬
ten in grünen Bergen, die nach der Mittagſeite
zu offen ſind, ſo daß wohl die Sonne herein
kann, aber kein rauhes Lüftchen. Deswegen ge¬
deiht auch ein ziemlich guter Wein rings um die
alte Stadtmauer, während höher hinauf an den
Bergen unabſehbare Waldungen ſich hinziehen,

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 1
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[[1]/0013] Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache einen wonnigen und ſonnigen Ort, und ſo iſt auch in der That das kleine Städtchen dieſes Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Es ſteckt noch in den gleichen alten Ringmauern und Thürmen, wie vor dreihundert Jahren, und iſt alſo immer das gleiche Neſt; daß dies aber ein tiefer urſprünglicher Plan war, beweiſ't der Um¬ ſtand, daß die Gründer der Stadt dieſelbe eine gute halbe Stunde von einem ſchiffbaren Fluſſe angelegt, zum deutlichen Zeichen, daß nichts dar¬ aus werden ſolle. Aber ſchön iſt ſie gelegen mit¬ ten in grünen Bergen, die nach der Mittagſeite zu offen ſind, ſo daß wohl die Sonne herein kann, aber kein rauhes Lüftchen. Deswegen ge¬ deiht auch ein ziemlich guter Wein rings um die alte Stadtmauer, während höher hinauf an den Bergen unabſehbare Waldungen ſich hinziehen, Keller, die Leute von Seldwyla. I. 1

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/13>, abgerufen am 20.04.2024.