Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

so nehme ich mein Schießzeug und gehe selbst fort,
ein Grab zu suchen, wo ich von Deiner Dummheit
unbelästigt bin!"

So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des
lieben Friedens willen rüstete er seufzend seine Waf¬
fen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach
Bertradens Wohnsitz hin, ohne daß er überzeugt war,
wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg
so ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um
so deutlicher gestaltete sich der Gedanke, daß er das
Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, so gut wie
ein Anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig
geworden sei, so werde es den Kopf auch nicht kosten,
mit der schönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug
für Zug fand jetzt in seiner Vorstellung das Aben¬
teuer statt und verlief auf das Beste, ja er hielt be¬
reits Tage lang, während er durch das sonnengrüne
Land ritt, süße Zwiegespräche mit der Geliebten, worin
er ihr die schönsten Erfindungen vorsagte, daß ihr
Antlitz in holder Freude sich röthete, d.h. alles dies
in seinen Gedanken.

Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit
innerlich ausmalte, sah er in Wirklichkeit an einem
blauen Höhenzuge die Thürme und Zinnen der Burg
in der Morgensonne erglänzen und die vergoldeten
Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und erschrack

ſo nehme ich mein Schießzeug und gehe ſelbſt fort,
ein Grab zu ſuchen, wo ich von Deiner Dummheit
unbeläſtigt bin!“

So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des
lieben Friedens willen rüſtete er ſeufzend ſeine Waf¬
fen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach
Bertradens Wohnſitz hin, ohne daß er überzeugt war,
wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg
ſo ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um
ſo deutlicher geſtaltete ſich der Gedanke, daß er das
Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, ſo gut wie
ein Anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig
geworden ſei, ſo werde es den Kopf auch nicht koſten,
mit der ſchönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug
für Zug fand jetzt in ſeiner Vorſtellung das Aben¬
teuer ſtatt und verlief auf das Beſte, ja er hielt be¬
reits Tage lang, während er durch das ſonnengrüne
Land ritt, ſüße Zwiegeſpräche mit der Geliebten, worin
er ihr die ſchönſten Erfindungen vorſagte, daß ihr
Antlitz in holder Freude ſich röthete, d.h. alles dies
in ſeinen Gedanken.

Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit
innerlich ausmalte, ſah er in Wirklichkeit an einem
blauen Höhenzuge die Thürme und Zinnen der Burg
in der Morgenſonne erglänzen und die vergoldeten
Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und erſchrack

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="53"/>
&#x017F;o nehme ich mein Schießzeug und gehe &#x017F;elb&#x017F;t fort,<lb/>
ein Grab zu &#x017F;uchen, wo ich von Deiner Dummheit<lb/>
unbelä&#x017F;tigt bin!&#x201C;</p><lb/>
        <p>So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des<lb/>
lieben Friedens willen rü&#x017F;tete er &#x017F;eufzend &#x017F;eine Waf¬<lb/>
fen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach<lb/>
Bertradens Wohn&#x017F;itz hin, ohne daß er überzeugt war,<lb/>
wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg<lb/>
&#x017F;o ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um<lb/>
&#x017F;o deutlicher ge&#x017F;taltete &#x017F;ich der Gedanke, daß er das<lb/>
Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, &#x017F;o gut wie<lb/>
ein Anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig<lb/>
geworden &#x017F;ei, &#x017F;o werde es den Kopf auch nicht ko&#x017F;ten,<lb/>
mit der &#x017F;chönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug<lb/>
für Zug fand jetzt in &#x017F;einer Vor&#x017F;tellung das Aben¬<lb/>
teuer &#x017F;tatt und verlief auf das Be&#x017F;te, ja er hielt be¬<lb/>
reits Tage lang, während er durch das &#x017F;onnengrüne<lb/>
Land ritt, &#x017F;üße Zwiege&#x017F;präche mit der Geliebten, worin<lb/>
er ihr die &#x017F;chön&#x017F;ten Erfindungen vor&#x017F;agte, daß ihr<lb/>
Antlitz in holder Freude &#x017F;ich röthete, d.h. alles dies<lb/>
in &#x017F;einen Gedanken.</p><lb/>
        <p>Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit<lb/>
innerlich ausmalte, &#x017F;ah er in Wirklichkeit an einem<lb/>
blauen Höhenzuge die Thürme und Zinnen der Burg<lb/>
in der Morgen&#x017F;onne erglänzen und die vergoldeten<lb/>
Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und er&#x017F;chrack<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0067] ſo nehme ich mein Schießzeug und gehe ſelbſt fort, ein Grab zu ſuchen, wo ich von Deiner Dummheit unbeläſtigt bin!“ So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des lieben Friedens willen rüſtete er ſeufzend ſeine Waf¬ fen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach Bertradens Wohnſitz hin, ohne daß er überzeugt war, wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg ſo ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um ſo deutlicher geſtaltete ſich der Gedanke, daß er das Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, ſo gut wie ein Anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig geworden ſei, ſo werde es den Kopf auch nicht koſten, mit der ſchönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug für Zug fand jetzt in ſeiner Vorſtellung das Aben¬ teuer ſtatt und verlief auf das Beſte, ja er hielt be¬ reits Tage lang, während er durch das ſonnengrüne Land ritt, ſüße Zwiegeſpräche mit der Geliebten, worin er ihr die ſchönſten Erfindungen vorſagte, daß ihr Antlitz in holder Freude ſich röthete, d.h. alles dies in ſeinen Gedanken. Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit innerlich ausmalte, ſah er in Wirklichkeit an einem blauen Höhenzuge die Thürme und Zinnen der Burg in der Morgenſonne erglänzen und die vergoldeten Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und erſchrack

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/67
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/67>, abgerufen am 20.04.2024.