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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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die er also anredete: "Das sind absonderliche Dinge.
Ihr Mönche seid unschuldig und könnt nach eurem
Kloster gehen! Euer Abt war ein Dämon, der euch
verderben oder verführen wollte. Hier nehmt seine
Kutte mit Euch und hängt sie zum Andenken irgendwo
auf; denn nachdem er vor meinen Augen seine Ge¬
stalt ganz absonderlich verändert hat, ist er vor eben
diesen Augen in ein Nichts verflossen und spurlos
verschwunden! Dies Weib hier hingegen, welches sich
des Dämons bediente, Euch zu verderben, ist der
Zauberei verdächtig und soll in's Gefängniß gewor¬
fen werden. Und hiemit begebt Euch allerseits nach
Hause und seid guter Dinge!"

Alles erstaunte über diese Rede und schaute furcht¬
sam auf das Gewand des Dämons. Die Wittib er¬
blaßte und verhüllte ihr Gesicht, wonach sie genug¬
sam ihr böses Gewissen zu erkennen gab. Die guten
Mönche erfreuten sich ihres Sieges und zogen mit
der leeren Kutte dankbarlichst von dannen, nicht
ahnend, welch' süßer Kern darin gesteckt habe. Die
Wittwe wurde in's Gefängniß abgeführt, und Aquili¬
nus rief seinen vertrautesten Diener, mit welchem
er die Stadt durchstreifte, Kaufleute aufsuchte und
eine Last der köstlichsten Frauengewänder einkaufte.
Diese mußte der Sklave so geheim und rasch als mög¬
lich in's Haus bringen.

die er alſo anredete: „Das ſind abſonderliche Dinge.
Ihr Mönche ſeid unſchuldig und könnt nach eurem
Kloſter gehen! Euer Abt war ein Dämon, der euch
verderben oder verführen wollte. Hier nehmt ſeine
Kutte mit Euch und hängt ſie zum Andenken irgendwo
auf; denn nachdem er vor meinen Augen ſeine Ge¬
ſtalt ganz abſonderlich verändert hat, iſt er vor eben
dieſen Augen in ein Nichts verfloſſen und ſpurlos
verſchwunden! Dies Weib hier hingegen, welches ſich
des Dämons bediente, Euch zu verderben, iſt der
Zauberei verdächtig und ſoll in's Gefängniß gewor¬
fen werden. Und hiemit begebt Euch allerſeits nach
Hauſe und ſeid guter Dinge!“

Alles erſtaunte über dieſe Rede und ſchaute furcht¬
ſam auf das Gewand des Dämons. Die Wittib er¬
blaßte und verhüllte ihr Geſicht, wonach ſie genug¬
ſam ihr böſes Gewiſſen zu erkennen gab. Die guten
Mönche erfreuten ſich ihres Sieges und zogen mit
der leeren Kutte dankbarlichſt von dannen, nicht
ahnend, welch' ſüßer Kern darin geſteckt habe. Die
Wittwe wurde in's Gefängniß abgeführt, und Aquili¬
nus rief ſeinen vertrauteſten Diener, mit welchem
er die Stadt durchſtreifte, Kaufleute aufſuchte und
eine Laſt der köſtlichſten Frauengewänder einkaufte.
Dieſe mußte der Sklave ſo geheim und raſch als mög¬
lich in's Haus bringen.

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[25/0039] die er alſo anredete: „Das ſind abſonderliche Dinge. Ihr Mönche ſeid unſchuldig und könnt nach eurem Kloſter gehen! Euer Abt war ein Dämon, der euch verderben oder verführen wollte. Hier nehmt ſeine Kutte mit Euch und hängt ſie zum Andenken irgendwo auf; denn nachdem er vor meinen Augen ſeine Ge¬ ſtalt ganz abſonderlich verändert hat, iſt er vor eben dieſen Augen in ein Nichts verfloſſen und ſpurlos verſchwunden! Dies Weib hier hingegen, welches ſich des Dämons bediente, Euch zu verderben, iſt der Zauberei verdächtig und ſoll in's Gefängniß gewor¬ fen werden. Und hiemit begebt Euch allerſeits nach Hauſe und ſeid guter Dinge!“ Alles erſtaunte über dieſe Rede und ſchaute furcht¬ ſam auf das Gewand des Dämons. Die Wittib er¬ blaßte und verhüllte ihr Geſicht, wonach ſie genug¬ ſam ihr böſes Gewiſſen zu erkennen gab. Die guten Mönche erfreuten ſich ihres Sieges und zogen mit der leeren Kutte dankbarlichſt von dannen, nicht ahnend, welch' ſüßer Kern darin geſteckt habe. Die Wittwe wurde in's Gefängniß abgeführt, und Aquili¬ nus rief ſeinen vertrauteſten Diener, mit welchem er die Stadt durchſtreifte, Kaufleute aufſuchte und eine Laſt der köſtlichſten Frauengewänder einkaufte. Dieſe mußte der Sklave ſo geheim und raſch als mög¬ lich in's Haus bringen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/39>, abgerufen am 28.03.2024.