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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Plötzlich entschloß sie sich, wenn die Jungfrau
Maria nicht so viel Verstand habe, den Verirrten auf
einen wohlanständigeren Weg zu führen, dies selbst
zu übernehmen und ihr etwas in's Handwerk zu pfu¬
schen, nicht ahnend, daß sie selbst das unbewußte
Werkzeug der bereits einschreitenden Himmelskönigin
war. Und alsogleich ging sie zu ihrem Vater, be¬
schwerte sich bitterlich über die unangemessene Nach¬
barschaft der Buhldirne und beschwor ihn, dieselbe
um jeden Preis vermittelst seines Reichthums und
augenblicklich zu entfernen.

Der Alte verfügte sich, nach ihrer Anweisung, auch
sogleich zu der Person und bot ihr eine gewisse Summe
für ihr Häuschen, wenn sie es zur Stunde verlassen
und ganz aus dem Revier wegziehen wolle. Sie ver¬
langte nichts Besseres und war noch am gleichen Vor¬
mittag aus der Gegend verschwunden, während der
Alte wieder hinter seinem Plato saß und sich nicht
weiter um die Sache kümmerte.

Desto eifriger war nun Jole, das Häuschen von
unten bis oben von Allem räumen zu lassen, was an
die frühere Besitzerin erinnern konnte, und als es
gänzlich ausgefegt und gereinigt war, ließ sie es mit
feinen Spezereien so durchräuchern, daß die wohl¬
duftenden Rauchwolken aus allen Fenstern drangen.

Dann ließ sie in das leere Gemach nichts als

Plötzlich entſchloß ſie ſich, wenn die Jungfrau
Maria nicht ſo viel Verſtand habe, den Verirrten auf
einen wohlanſtändigeren Weg zu führen, dies ſelbſt
zu übernehmen und ihr etwas in's Handwerk zu pfu¬
ſchen, nicht ahnend, daß ſie ſelbſt das unbewußte
Werkzeug der bereits einſchreitenden Himmelskönigin
war. Und alſogleich ging ſie zu ihrem Vater, be¬
ſchwerte ſich bitterlich über die unangemeſſene Nach¬
barſchaft der Buhldirne und beſchwor ihn, dieſelbe
um jeden Preis vermittelſt ſeines Reichthums und
augenblicklich zu entfernen.

Der Alte verfügte ſich, nach ihrer Anweiſung, auch
ſogleich zu der Perſon und bot ihr eine gewiſſe Summe
für ihr Häuschen, wenn ſie es zur Stunde verlaſſen
und ganz aus dem Revier wegziehen wolle. Sie ver¬
langte nichts Beſſeres und war noch am gleichen Vor¬
mittag aus der Gegend verſchwunden, während der
Alte wieder hinter ſeinem Plato ſaß und ſich nicht
weiter um die Sache kümmerte.

Deſto eifriger war nun Jole, das Häuschen von
unten bis oben von Allem räumen zu laſſen, was an
die frühere Beſitzerin erinnern konnte, und als es
gänzlich ausgefegt und gereinigt war, ließ ſie es mit
feinen Spezereien ſo durchräuchern, daß die wohl¬
duftenden Rauchwolken aus allen Fenſtern drangen.

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[100/0114] Plötzlich entſchloß ſie ſich, wenn die Jungfrau Maria nicht ſo viel Verſtand habe, den Verirrten auf einen wohlanſtändigeren Weg zu führen, dies ſelbſt zu übernehmen und ihr etwas in's Handwerk zu pfu¬ ſchen, nicht ahnend, daß ſie ſelbſt das unbewußte Werkzeug der bereits einſchreitenden Himmelskönigin war. Und alſogleich ging ſie zu ihrem Vater, be¬ ſchwerte ſich bitterlich über die unangemeſſene Nach¬ barſchaft der Buhldirne und beſchwor ihn, dieſelbe um jeden Preis vermittelſt ſeines Reichthums und augenblicklich zu entfernen. Der Alte verfügte ſich, nach ihrer Anweiſung, auch ſogleich zu der Perſon und bot ihr eine gewiſſe Summe für ihr Häuschen, wenn ſie es zur Stunde verlaſſen und ganz aus dem Revier wegziehen wolle. Sie ver¬ langte nichts Beſſeres und war noch am gleichen Vor¬ mittag aus der Gegend verſchwunden, während der Alte wieder hinter ſeinem Plato ſaß und ſich nicht weiter um die Sache kümmerte. Deſto eifriger war nun Jole, das Häuschen von unten bis oben von Allem räumen zu laſſen, was an die frühere Beſitzerin erinnern konnte, und als es gänzlich ausgefegt und gereinigt war, ließ ſie es mit feinen Spezereien ſo durchräuchern, daß die wohl¬ duftenden Rauchwolken aus allen Fenſtern drangen. Dann ließ ſie in das leere Gemach nichts als

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/114>, abgerufen am 19.04.2024.