Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebenswandel begann, schien er es öffentlich vollständig
darauf anzulegen, für einen lasterhaften und sündigen
Mönch zu gelten, der sich lustig in allem Wirrsal der
Welt herumschlüge und seinen geistlichen Habit als
eine Fahne der Schmach aushänge.

Befand er sich des Abends, wenn es dunkelte, in
ehrbarer Gesellschaft, so rief er etwa unversehens:
"Ei, was mache ich doch? Bald hätt' ich vergessen,
daß die braune Doris meiner wartet, die kleine
Freundin! Der tausend, ich muß gleich hin, daß sie
nicht schmollt!"

Schalt man ihn nun, so rief er, wie erbost:
"Glaubt Ihr, ich sei ein Stein? Bildet Ihr Euch
ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein ge¬
schaffen habe?" Sagte Jemand: "Vater, legt lieber
das kirchliche Gewand ab und heirathet, damit die
Andern sich nicht ärgern!" so antwortete er: "Aergere
sich, wer will und mag, und renne mit dem Kopfe
gegen die Mauer! Wer ist mein Richter?"

Alles dies sagte er mit Geräusch und großer
Verstellungskunst, wie Einer, der eine schlechte Sache
mit vielen und frechen Worten vertheidigt.

Und er ging hin und zankte sich vor den Haus¬
thüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum,
ja er prügelte sich sogar mit ihnen und theilte manche
derbe Maulschelle aus, wenn es hieß: "Fort mit dem

Lebenswandel begann, ſchien er es öffentlich vollſtändig
darauf anzulegen, für einen laſterhaften und ſündigen
Mönch zu gelten, der ſich luſtig in allem Wirrſal der
Welt herumſchlüge und ſeinen geiſtlichen Habit als
eine Fahne der Schmach aushänge.

Befand er ſich des Abends, wenn es dunkelte, in
ehrbarer Geſellſchaft, ſo rief er etwa unverſehens:
„Ei, was mache ich doch? Bald hätt' ich vergeſſen,
daß die braune Doris meiner wartet, die kleine
Freundin! Der tauſend, ich muß gleich hin, daß ſie
nicht ſchmollt!“

Schalt man ihn nun, ſo rief er, wie erboſt:
„Glaubt Ihr, ich ſei ein Stein? Bildet Ihr Euch
ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein ge¬
ſchaffen habe?“ Sagte Jemand: „Vater, legt lieber
das kirchliche Gewand ab und heirathet, damit die
Andern ſich nicht ärgern!“ ſo antwortete er: „Aergere
ſich, wer will und mag, und renne mit dem Kopfe
gegen die Mauer! Wer iſt mein Richter?“

Alles dies ſagte er mit Geräuſch und großer
Verſtellungskunſt, wie Einer, der eine ſchlechte Sache
mit vielen und frechen Worten vertheidigt.

Und er ging hin und zankte ſich vor den Haus¬
thüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum,
ja er prügelte ſich ſogar mit ihnen und theilte manche
derbe Maulſchelle aus, wenn es hieß: „Fort mit dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="87"/>
Lebenswandel begann, &#x017F;chien er es öffentlich voll&#x017F;tändig<lb/>
darauf anzulegen, für einen la&#x017F;terhaften und &#x017F;ündigen<lb/>
Mönch zu gelten, der &#x017F;ich lu&#x017F;tig in allem Wirr&#x017F;al der<lb/>
Welt herum&#x017F;chlüge und &#x017F;einen gei&#x017F;tlichen Habit als<lb/>
eine Fahne der Schmach aushänge.</p><lb/>
        <p>Befand er &#x017F;ich des Abends, wenn es dunkelte, in<lb/>
ehrbarer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, &#x017F;o rief er etwa unver&#x017F;ehens:<lb/>
&#x201E;Ei, was mache ich doch? Bald hätt' ich verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß die braune Doris meiner wartet, die kleine<lb/>
Freundin! Der tau&#x017F;end, ich muß gleich hin, daß &#x017F;ie<lb/>
nicht &#x017F;chmollt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Schalt man ihn nun, &#x017F;o rief er, wie erbo&#x017F;t:<lb/>
&#x201E;Glaubt Ihr, ich &#x017F;ei ein Stein? Bildet Ihr Euch<lb/>
ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein ge¬<lb/>
&#x017F;chaffen habe?&#x201C; Sagte Jemand: &#x201E;Vater, legt lieber<lb/>
das kirchliche Gewand ab und heirathet, damit die<lb/>
Andern &#x017F;ich nicht ärgern!&#x201C; &#x017F;o antwortete er: &#x201E;Aergere<lb/>
&#x017F;ich, wer will und mag, und renne mit dem Kopfe<lb/>
gegen die Mauer! Wer i&#x017F;t mein Richter?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Alles dies &#x017F;agte er mit Geräu&#x017F;ch und großer<lb/>
Ver&#x017F;tellungskun&#x017F;t, wie Einer, der eine &#x017F;chlechte Sache<lb/>
mit vielen und frechen Worten vertheidigt.</p><lb/>
        <p>Und er ging hin und zankte &#x017F;ich vor den Haus¬<lb/>
thüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum,<lb/>
ja er prügelte &#x017F;ich &#x017F;ogar mit ihnen und theilte manche<lb/>
derbe Maul&#x017F;chelle aus, wenn es hieß: &#x201E;Fort mit dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] Lebenswandel begann, ſchien er es öffentlich vollſtändig darauf anzulegen, für einen laſterhaften und ſündigen Mönch zu gelten, der ſich luſtig in allem Wirrſal der Welt herumſchlüge und ſeinen geiſtlichen Habit als eine Fahne der Schmach aushänge. Befand er ſich des Abends, wenn es dunkelte, in ehrbarer Geſellſchaft, ſo rief er etwa unverſehens: „Ei, was mache ich doch? Bald hätt' ich vergeſſen, daß die braune Doris meiner wartet, die kleine Freundin! Der tauſend, ich muß gleich hin, daß ſie nicht ſchmollt!“ Schalt man ihn nun, ſo rief er, wie erboſt: „Glaubt Ihr, ich ſei ein Stein? Bildet Ihr Euch ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein ge¬ ſchaffen habe?“ Sagte Jemand: „Vater, legt lieber das kirchliche Gewand ab und heirathet, damit die Andern ſich nicht ärgern!“ ſo antwortete er: „Aergere ſich, wer will und mag, und renne mit dem Kopfe gegen die Mauer! Wer iſt mein Richter?“ Alles dies ſagte er mit Geräuſch und großer Verſtellungskunſt, wie Einer, der eine ſchlechte Sache mit vielen und frechen Worten vertheidigt. Und er ging hin und zankte ſich vor den Haus¬ thüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum, ja er prügelte ſich ſogar mit ihnen und theilte manche derbe Maulſchelle aus, wenn es hieß: „Fort mit dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/101
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/101>, abgerufen am 28.03.2024.