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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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rige Lust an, sich als der einzelne Mann, als der
wiederspiegelnde Theil vom Ganzen zu diesem
Kampfe zu gesellen und mitten in demselben die
letzte Hand an sich zu legen und sich mit regen
Kräften zurecht zu schmieden zum tüchtigen und
lebendigen Einzelmann, der mit rathet und mit
thatet und rüstig darauf aus ist, das edle Wild
der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er
selbst ein Theil ist, und die ihm deswegen
doch nicht theurer ist, als die Minderheit, die er
besiegt, weil diese von gleichem Fleisch und Blut
ist hinwieder mit der Mehrheit.

"Aber die Mehrheit," rief er vor sich her, "ist die
einzige wirkliche und nothwendige Macht im Lande,
so greifbar und fühlbar, wie die körperliche Natur
selbst, an die wir gefesselt sind. Sie ist der einzig
untrügliche Halt, immer jung und immer gleich
mächtig; daher gilt es, unvermerkt sie vernünftig
und klar zu machen, wo sie es nicht ist. Dies ist
das höchste und schönste Ziel. Weil sie nothwendig
und unausweichlich ist, so kehren sich die übermü¬
thigen und verkehrten Köpfe aller Extreme gegen
sie in unvermögender Wuth, indessen sie stets ab¬

IV. 30

rige Luſt an, ſich als der einzelne Mann, als der
wiederſpiegelnde Theil vom Ganzen zu dieſem
Kampfe zu geſellen und mitten in demſelben die
letzte Hand an ſich zu legen und ſich mit regen
Kraͤften zurecht zu ſchmieden zum tuͤchtigen und
lebendigen Einzelmann, der mit rathet und mit
thatet und ruͤſtig darauf aus iſt, das edle Wild
der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er
ſelbſt ein Theil iſt, und die ihm deswegen
doch nicht theurer iſt, als die Minderheit, die er
beſiegt, weil dieſe von gleichem Fleiſch und Blut
iſt hinwieder mit der Mehrheit.

»Aber die Mehrheit,« rief er vor ſich her, »iſt die
einzige wirkliche und nothwendige Macht im Lande,
ſo greifbar und fuͤhlbar, wie die koͤrperliche Natur
ſelbſt, an die wir gefeſſelt ſind. Sie iſt der einzig
untruͤgliche Halt, immer jung und immer gleich
maͤchtig; daher gilt es, unvermerkt ſie vernuͤnftig
und klar zu machen, wo ſie es nicht iſt. Dies iſt
das hoͤchſte und ſchoͤnſte Ziel. Weil ſie nothwendig
und unausweichlich iſt, ſo kehren ſich die uͤbermuͤ¬
thigen und verkehrten Koͤpfe aller Extreme gegen
ſie in unvermoͤgender Wuth, indeſſen ſie ſtets ab¬

IV. 30
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[465/0475] rige Luſt an, ſich als der einzelne Mann, als der wiederſpiegelnde Theil vom Ganzen zu dieſem Kampfe zu geſellen und mitten in demſelben die letzte Hand an ſich zu legen und ſich mit regen Kraͤften zurecht zu ſchmieden zum tuͤchtigen und lebendigen Einzelmann, der mit rathet und mit thatet und ruͤſtig darauf aus iſt, das edle Wild der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er ſelbſt ein Theil iſt, und die ihm deswegen doch nicht theurer iſt, als die Minderheit, die er beſiegt, weil dieſe von gleichem Fleiſch und Blut iſt hinwieder mit der Mehrheit. »Aber die Mehrheit,« rief er vor ſich her, »iſt die einzige wirkliche und nothwendige Macht im Lande, ſo greifbar und fuͤhlbar, wie die koͤrperliche Natur ſelbſt, an die wir gefeſſelt ſind. Sie iſt der einzig untruͤgliche Halt, immer jung und immer gleich maͤchtig; daher gilt es, unvermerkt ſie vernuͤnftig und klar zu machen, wo ſie es nicht iſt. Dies iſt das hoͤchſte und ſchoͤnſte Ziel. Weil ſie nothwendig und unausweichlich iſt, ſo kehren ſich die uͤbermuͤ¬ thigen und verkehrten Koͤpfe aller Extreme gegen ſie in unvermoͤgender Wuth, indeſſen ſie ſtets ab¬ IV. 30

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/475>, abgerufen am 24.04.2024.