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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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dische Schadenfreude, wie jener Junge, welcher sagte,
es geschehe seinem Vater ganz recht, wenn er sich
die Hand erfröre, warum kaufe er ihm keine
Handschuhe. Doch dann schlug dies Vergnügen
wieder in Traurigkeit um, als er sich ernstlicher
bedachte und befand, daß nun gar keine Rede
mehr davon sein könne, Dortchen etwas zu sagen,
da die Sache bedenklich würde und ihr Sorgen
und Befangenheit erwecken müßte.

Er suchte jetzt sein Wäldchen wieder auf am
Berge, das indessen schön grün geworden war
und von Vogelsang ertönte. Auf dem Baume,
unter dem Heinrich den ganzen Tag saß, war
ein Staar und guckte, wenn er genug Würmchen
gefressen hatte, zuthulich auf ihn herunter und
stieg jeden Tag um einen Ast näher herab. Wäh¬
rend nun Heinrich darüber nachsann, wie dieser
Kummer alles Andere, was ihn schon gequält,
weit hinter sich lasse, wie das Leid der Liebe so
schuldlos sei, denn was habe man gethan, daß
Einem ein anderes Wesen so wohl gefalle? und
dennoch so unerträglich und bitter und unvernünf¬
tig und Einen zu Grunde zu richten vermöge,

diſche Schadenfreude, wie jener Junge, welcher ſagte,
es geſchehe ſeinem Vater ganz recht, wenn er ſich
die Hand erfroͤre, warum kaufe er ihm keine
Handſchuhe. Doch dann ſchlug dies Vergnuͤgen
wieder in Traurigkeit um, als er ſich ernſtlicher
bedachte und befand, daß nun gar keine Rede
mehr davon ſein koͤnne, Dortchen etwas zu ſagen,
da die Sache bedenklich wuͤrde und ihr Sorgen
und Befangenheit erwecken muͤßte.

Er ſuchte jetzt ſein Waͤldchen wieder auf am
Berge, das indeſſen ſchoͤn gruͤn geworden war
und von Vogelſang ertoͤnte. Auf dem Baume,
unter dem Heinrich den ganzen Tag ſaß, war
ein Staar und guckte, wenn er genug Wuͤrmchen
gefreſſen hatte, zuthulich auf ihn herunter und
ſtieg jeden Tag um einen Aſt naͤher herab. Waͤh¬
rend nun Heinrich daruͤber nachſann, wie dieſer
Kummer alles Andere, was ihn ſchon gequaͤlt,
weit hinter ſich laſſe, wie das Leid der Liebe ſo
ſchuldlos ſei, denn was habe man gethan, daß
Einem ein anderes Weſen ſo wohl gefalle? und
dennoch ſo unertraͤglich und bitter und unvernuͤnf¬
tig und Einen zu Grunde zu richten vermoͤge,

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[418/0428] diſche Schadenfreude, wie jener Junge, welcher ſagte, es geſchehe ſeinem Vater ganz recht, wenn er ſich die Hand erfroͤre, warum kaufe er ihm keine Handſchuhe. Doch dann ſchlug dies Vergnuͤgen wieder in Traurigkeit um, als er ſich ernſtlicher bedachte und befand, daß nun gar keine Rede mehr davon ſein koͤnne, Dortchen etwas zu ſagen, da die Sache bedenklich wuͤrde und ihr Sorgen und Befangenheit erwecken muͤßte. Er ſuchte jetzt ſein Waͤldchen wieder auf am Berge, das indeſſen ſchoͤn gruͤn geworden war und von Vogelſang ertoͤnte. Auf dem Baume, unter dem Heinrich den ganzen Tag ſaß, war ein Staar und guckte, wenn er genug Wuͤrmchen gefreſſen hatte, zuthulich auf ihn herunter und ſtieg jeden Tag um einen Aſt naͤher herab. Waͤh¬ rend nun Heinrich daruͤber nachſann, wie dieſer Kummer alles Andere, was ihn ſchon gequaͤlt, weit hinter ſich laſſe, wie das Leid der Liebe ſo ſchuldlos ſei, denn was habe man gethan, daß Einem ein anderes Weſen ſo wohl gefalle? und dennoch ſo unertraͤglich und bitter und unvernuͤnf¬ tig und Einen zu Grunde zu richten vermoͤge,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/428>, abgerufen am 24.04.2024.