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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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läge, wollte er reden, wenn die weiße, wollte er
schweigen. Die weiße Seite lag oben und Hein¬
rich war wieder ganz unglücklich, als sie da in
der Sonne glänzte. "Ach," flüsterte er, "dies ist
nichts! wer wird Alles auf Einen Wurf wagen?
dreimal will ich werfen und dann gewiß nicht
mehr!" Und er warf wieder und abermals weiß.
Zögernd und seufzend warf er zum dritten Mal,
da glänzte es roth und eben so roth ward sein
Gesicht und eine unaussprechliche Freude strahlte
auf demselben, "O nun will ich es ihr sagen!"
sagte er, und ein Stein fiel ihm vom Herzen und
er dachte, nun wäre Alles gut.

Der Herzenskundige wird hier wohl bemerken,
daß diese Fröhlichkeit nur von der leisen Hoff¬
nung herrührte, welche sich in Heinrich's Vorsatz
mit einschlich, und daß er, ohne es zu wollen, den¬
noch im Begriffe war, jene Schlauheit zu begehen,
welche er sich nicht zu Schulden wollte kommen
lassen.

Es war gerade Sonnabend und der Tag nä¬
herte sich seinem Ende. Er nahm sich also vor,
noch bis in die Nacht umherzustreifen und am

laͤge, wollte er reden, wenn die weiße, wollte er
ſchweigen. Die weiße Seite lag oben und Hein¬
rich war wieder ganz ungluͤcklich, als ſie da in
der Sonne glaͤnzte. »Ach,« fluͤſterte er, »dies iſt
nichts! wer wird Alles auf Einen Wurf wagen?
dreimal will ich werfen und dann gewiß nicht
mehr!« Und er warf wieder und abermals weiß.
Zoͤgernd und ſeufzend warf er zum dritten Mal,
da glaͤnzte es roth und eben ſo roth ward ſein
Geſicht und eine unausſprechliche Freude ſtrahlte
auf demſelben, »O nun will ich es ihr ſagen!«
ſagte er, und ein Stein fiel ihm vom Herzen und
er dachte, nun waͤre Alles gut.

Der Herzenskundige wird hier wohl bemerken,
daß dieſe Froͤhlichkeit nur von der leiſen Hoff¬
nung herruͤhrte, welche ſich in Heinrich's Vorſatz
mit einſchlich, und daß er, ohne es zu wollen, den¬
noch im Begriffe war, jene Schlauheit zu begehen,
welche er ſich nicht zu Schulden wollte kommen
laſſen.

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[411/0421] laͤge, wollte er reden, wenn die weiße, wollte er ſchweigen. Die weiße Seite lag oben und Hein¬ rich war wieder ganz ungluͤcklich, als ſie da in der Sonne glaͤnzte. »Ach,« fluͤſterte er, »dies iſt nichts! wer wird Alles auf Einen Wurf wagen? dreimal will ich werfen und dann gewiß nicht mehr!« Und er warf wieder und abermals weiß. Zoͤgernd und ſeufzend warf er zum dritten Mal, da glaͤnzte es roth und eben ſo roth ward ſein Geſicht und eine unausſprechliche Freude ſtrahlte auf demſelben, »O nun will ich es ihr ſagen!« ſagte er, und ein Stein fiel ihm vom Herzen und er dachte, nun waͤre Alles gut. Der Herzenskundige wird hier wohl bemerken, daß dieſe Froͤhlichkeit nur von der leiſen Hoff¬ nung herruͤhrte, welche ſich in Heinrich's Vorſatz mit einſchlich, und daß er, ohne es zu wollen, den¬ noch im Begriffe war, jene Schlauheit zu begehen, welche er ſich nicht zu Schulden wollte kommen laſſen. Es war gerade Sonnabend und der Tag naͤ¬ herte ſich ſeinem Ende. Er nahm ſich alſo vor, noch bis in die Nacht umherzuſtreifen und am

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/421>, abgerufen am 19.04.2024.