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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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ergossen, mit solch einer witzelnden, affectirten
Dedication versehen hätte? Glauben Sie über¬
haupt, daß es demselben möglich gewesen wäre,
ein so kokettes Büchlein zu schreiben, wie dies
eines ist? Er hatte Geist so gut als Einer, aber
wie streng hält er ihn in der Zucht, wo er es mit
Gott zu thun hat. Lesen sie seine Bekenntnisse,
wie rührend und erbauend ist es, wenn man sieht,
wie ängstlich er alle sinnliche und geistreiche Bil¬
derpracht, alles Kokettiren, alle Selbsttäuschung
oder Täuschung Gottes durch das sinnliche Wort
flieht und meidet. Wie er vielmehr jedes seiner
stricten und schlichten Worte unmittelbar an Gott
selbst richtet und unter dessen Augen schreibt, da¬
mit ja kein ungehöriger Schmuck, keine Illusion,
keine Art von Schönthun mit Unreinem hinein¬
komme in seine Geständnisse! Ohne mich zu sol¬
chen Propheten zählen zu wollen, fühle ich den¬
noch diesen ganzen und ernstgemeinten Gott, und
erst jetzt, wo ich keinen mehr habe, bereue ich
mit ziemlicher Scham die willkürliche und humo¬
ristische Manier meiner Jugend, in welcher ich
in meiner vermeintlichen Religiosität die gött¬

ergoſſen, mit ſolch einer witzelnden, affectirten
Dedication verſehen haͤtte? Glauben Sie uͤber¬
haupt, daß es demſelben moͤglich geweſen waͤre,
ein ſo kokettes Buͤchlein zu ſchreiben, wie dies
eines iſt? Er hatte Geiſt ſo gut als Einer, aber
wie ſtreng haͤlt er ihn in der Zucht, wo er es mit
Gott zu thun hat. Leſen ſie ſeine Bekenntniſſe,
wie ruͤhrend und erbauend iſt es, wenn man ſieht,
wie aͤngſtlich er alle ſinnliche und geiſtreiche Bil¬
derpracht, alles Kokettiren, alle Selbſttaͤuſchung
oder Taͤuſchung Gottes durch das ſinnliche Wort
flieht und meidet. Wie er vielmehr jedes ſeiner
ſtricten und ſchlichten Worte unmittelbar an Gott
ſelbſt richtet und unter deſſen Augen ſchreibt, da¬
mit ja kein ungehoͤriger Schmuck, keine Illuſion,
keine Art von Schoͤnthun mit Unreinem hinein¬
komme in ſeine Geſtaͤndniſſe! Ohne mich zu ſol¬
chen Propheten zaͤhlen zu wollen, fuͤhle ich den¬
noch dieſen ganzen und ernſtgemeinten Gott, und
erſt jetzt, wo ich keinen mehr habe, bereue ich
mit ziemlicher Scham die willkuͤrliche und humo¬
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[396/0406] ergoſſen, mit ſolch einer witzelnden, affectirten Dedication verſehen haͤtte? Glauben Sie uͤber¬ haupt, daß es demſelben moͤglich geweſen waͤre, ein ſo kokettes Buͤchlein zu ſchreiben, wie dies eines iſt? Er hatte Geiſt ſo gut als Einer, aber wie ſtreng haͤlt er ihn in der Zucht, wo er es mit Gott zu thun hat. Leſen ſie ſeine Bekenntniſſe, wie ruͤhrend und erbauend iſt es, wenn man ſieht, wie aͤngſtlich er alle ſinnliche und geiſtreiche Bil¬ derpracht, alles Kokettiren, alle Selbſttaͤuſchung oder Taͤuſchung Gottes durch das ſinnliche Wort flieht und meidet. Wie er vielmehr jedes ſeiner ſtricten und ſchlichten Worte unmittelbar an Gott ſelbſt richtet und unter deſſen Augen ſchreibt, da¬ mit ja kein ungehoͤriger Schmuck, keine Illuſion, keine Art von Schoͤnthun mit Unreinem hinein¬ komme in ſeine Geſtaͤndniſſe! Ohne mich zu ſol¬ chen Propheten zaͤhlen zu wollen, fuͤhle ich den¬ noch dieſen ganzen und ernſtgemeinten Gott, und erſt jetzt, wo ich keinen mehr habe, bereue ich mit ziemlicher Scham die willkuͤrliche und humo¬ riſtiſche Manier meiner Jugend, in welcher ich in meiner vermeintlichen Religioſitaͤt die goͤtt¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/406>, abgerufen am 29.03.2024.