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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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eines Tages wurde er etwas wärmer, als Hein¬
rich anfing: "Ich habe, seit ich in Ihrem Hause
bin, wieder viel mit meiner Selbstsucht zu käm¬
pfen, indem ich nach alter eingewurzelter Gewohn¬
heit immer dem lieben Gott für das Gute dan¬
ken möchte, das er mir erwiesen. Denn obschon
ich mir schon seit längerer Zeit widerstand und
meine kleinen persönlichen Erlebnisse nicht mehr
einer unmittelbaren Lenkung Gottes zuschreiben
mochte, so verlockt mich das, was mir hier ge¬
schah, dennoch immer wieder dazu, und ich muß
manchmal lachen, wenn ich bedenke, welch' ein
lustiges und liebliches Schauspiel es für den gu¬
ten weisen Gott sein muß, zu sehen, wie ein
junger Mensch ihm gern für etwas Gutes dan¬
ken möchte und sich ganz ehrlich dagegen sperrt
aus lauterer Vernunftmäßigkeit! Warum macht er
sich aber auch so närrische Geschöpfe!"

Der Graf sagte: "Ich muß Ihnen diesmal,
ganz abgesehen vom lieben Gott, wirklich eine
Zurechtweisung angedeihen lassen. Die Christen
lehren von ihrem Standpunkt aus ganz praktisch
und weise, daß man, so schlecht es Einem auch

IV. 25

eines Tages wurde er etwas waͤrmer, als Hein¬
rich anfing: »Ich habe, ſeit ich in Ihrem Hauſe
bin, wieder viel mit meiner Selbſtſucht zu kaͤm¬
pfen, indem ich nach alter eingewurzelter Gewohn¬
heit immer dem lieben Gott fuͤr das Gute dan¬
ken moͤchte, das er mir erwieſen. Denn obſchon
ich mir ſchon ſeit laͤngerer Zeit widerſtand und
meine kleinen perſoͤnlichen Erlebniſſe nicht mehr
einer unmittelbaren Lenkung Gottes zuſchreiben
mochte, ſo verlockt mich das, was mir hier ge¬
ſchah, dennoch immer wieder dazu, und ich muß
manchmal lachen, wenn ich bedenke, welch' ein
luſtiges und liebliches Schauſpiel es fuͤr den gu¬
ten weiſen Gott ſein muß, zu ſehen, wie ein
junger Menſch ihm gern fuͤr etwas Gutes dan¬
ken moͤchte und ſich ganz ehrlich dagegen ſperrt
aus lauterer Vernunftmaͤßigkeit! Warum macht er
ſich aber auch ſo naͤrriſche Geſchoͤpfe!«

Der Graf ſagte: »Ich muß Ihnen diesmal,
ganz abgeſehen vom lieben Gott, wirklich eine
Zurechtweiſung angedeihen laſſen. Die Chriſten
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und weiſe, daß man, ſo ſchlecht es Einem auch

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[385/0395] eines Tages wurde er etwas waͤrmer, als Hein¬ rich anfing: »Ich habe, ſeit ich in Ihrem Hauſe bin, wieder viel mit meiner Selbſtſucht zu kaͤm¬ pfen, indem ich nach alter eingewurzelter Gewohn¬ heit immer dem lieben Gott fuͤr das Gute dan¬ ken moͤchte, das er mir erwieſen. Denn obſchon ich mir ſchon ſeit laͤngerer Zeit widerſtand und meine kleinen perſoͤnlichen Erlebniſſe nicht mehr einer unmittelbaren Lenkung Gottes zuſchreiben mochte, ſo verlockt mich das, was mir hier ge¬ ſchah, dennoch immer wieder dazu, und ich muß manchmal lachen, wenn ich bedenke, welch' ein luſtiges und liebliches Schauſpiel es fuͤr den gu¬ ten weiſen Gott ſein muß, zu ſehen, wie ein junger Menſch ihm gern fuͤr etwas Gutes dan¬ ken moͤchte und ſich ganz ehrlich dagegen ſperrt aus lauterer Vernunftmaͤßigkeit! Warum macht er ſich aber auch ſo naͤrriſche Geſchoͤpfe!« Der Graf ſagte: »Ich muß Ihnen diesmal, ganz abgeſehen vom lieben Gott, wirklich eine Zurechtweiſung angedeihen laſſen. Die Chriſten lehren von ihrem Standpunkt aus ganz praktiſch und weiſe, daß man, ſo ſchlecht es Einem auch IV. 25

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/395>, abgerufen am 25.04.2024.