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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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ewige Gleichheit herrscht zwischen der Brüder¬
schaft der Wollenden! Mühelos und ohne Kum¬
mer theilen sie einige tausend Zeilen in Gesänge
und Strophen ab; der wahre Fleiß an sich freut
sich seines Daseins, kein schlackenbeschwerter Kön¬
nender stört die Harmonie der Wollenden. Und
weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa
eine einförmige, langweilige Schaar darstellte,
birgt er vielmehr die reizendste Mannigfaltigkeit
in sich und kommt auf den verschiedensten Wegen
zum Ziele. Hauptsächlich theilt er sich in drei
große Heerlager; das eine dieser Heerlager will,
das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben;
das zweite wendet mit eiserner Ausdauer das
Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte
endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und
Begriffene auf sich selber anzuwenden, und alle drei
Heerzüge vereinen sich an Einem friedlichen Ziele.
Wer kann ermessen, wie nahe die Zeit ist, wo
auch die Dichtung die zu schweren Wortzeilen
wegwirft, zu jenem Decimalsystem der leichtbe¬
schwingten Striche greift und mit der bildenden
Kunst in Einer äußeren Form sich vermählt?

ewige Gleichheit herrſcht zwiſchen der Bruͤder¬
ſchaft der Wollenden! Muͤhelos und ohne Kum¬
mer theilen ſie einige tauſend Zeilen in Geſaͤnge
und Strophen ab; der wahre Fleiß an ſich freut
ſich ſeines Daſeins, kein ſchlackenbeſchwerter Koͤn¬
nender ſtoͤrt die Harmonie der Wollenden. Und
weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa
eine einfoͤrmige, langweilige Schaar darſtellte,
birgt er vielmehr die reizendſte Mannigfaltigkeit
in ſich und kommt auf den verſchiedenſten Wegen
zum Ziele. Hauptſaͤchlich theilt er ſich in drei
große Heerlager; das eine dieſer Heerlager will,
das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben;
das zweite wendet mit eiſerner Ausdauer das
Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte
endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und
Begriffene auf ſich ſelber anzuwenden, und alle drei
Heerzuͤge vereinen ſich an Einem friedlichen Ziele.
Wer kann ermeſſen, wie nahe die Zeit iſt, wo
auch die Dichtung die zu ſchweren Wortzeilen
wegwirft, zu jenem Decimalſyſtem der leichtbe¬
ſchwingten Striche greift und mit der bildenden
Kunſt in Einer aͤußeren Form ſich vermaͤhlt?

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[29/0039] ewige Gleichheit herrſcht zwiſchen der Bruͤder¬ ſchaft der Wollenden! Muͤhelos und ohne Kum¬ mer theilen ſie einige tauſend Zeilen in Geſaͤnge und Strophen ab; der wahre Fleiß an ſich freut ſich ſeines Daſeins, kein ſchlackenbeſchwerter Koͤn¬ nender ſtoͤrt die Harmonie der Wollenden. Und weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa eine einfoͤrmige, langweilige Schaar darſtellte, birgt er vielmehr die reizendſte Mannigfaltigkeit in ſich und kommt auf den verſchiedenſten Wegen zum Ziele. Hauptſaͤchlich theilt er ſich in drei große Heerlager; das eine dieſer Heerlager will, das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben; das zweite wendet mit eiſerner Ausdauer das Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und Begriffene auf ſich ſelber anzuwenden, und alle drei Heerzuͤge vereinen ſich an Einem friedlichen Ziele. Wer kann ermeſſen, wie nahe die Zeit iſt, wo auch die Dichtung die zu ſchweren Wortzeilen wegwirft, zu jenem Decimalſyſtem der leichtbe¬ ſchwingten Striche greift und mit der bildenden Kunſt in Einer aͤußeren Form ſich vermaͤhlt?

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/39>, abgerufen am 28.03.2024.