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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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oder Staub schalt und dagegen alles Niegesehene,
Nichtbegriffene, Namenlose und Unaussprechliche
ideal hieß, was eben so gut war, als wenn man
irgend einen leeren Raum am Himmel Hinter¬
pommern nennen wollte. Als Priester aber war
er höchst freisinnig und über seine Kirche, in wel¬
cher er predigte, hinaus; seine Religion dagegen
war ein aufgeklärter Deismus, welchen er aber
viel fanatischer vertrat, als irgend ein Pfaffe seine
Satzungen. Er suchte einen rechten Höllenzwang
auszuüben mit idealen und humoristischen Re¬
densarten und bauete artige Scheiterhäufchen aus
Antithesen, hinkenden Gleichnissen und gewalt¬
samen Witzen, worauf er den Verstand, den gu¬
ten Willen und sogar das gute Gewissen seiner
Gegner zu verbrennen trachtete, seiner eigenen
Meinung zum angenehmen Brandopfer.

Diese Lieblingsbeschäftigung, nebst dem reich¬
lichen Tisch des Grafen, führte ihn häufig in
das Haus, und da er zugleich eine ehrliche Haut
und ein redlicher Helfer bei allen guten Unter¬
nehmungen der Herrschaft war, so wurde er zum
Bedürfniß und zur bleibenden Heiterkeit des

oder Staub ſchalt und dagegen alles Niegeſehene,
Nichtbegriffene, Namenloſe und Unausſprechliche
ideal hieß, was eben ſo gut war, als wenn man
irgend einen leeren Raum am Himmel Hinter¬
pommern nennen wollte. Als Prieſter aber war
er hoͤchſt freiſinnig und uͤber ſeine Kirche, in wel¬
cher er predigte, hinaus; ſeine Religion dagegen
war ein aufgeklaͤrter Deismus, welchen er aber
viel fanatiſcher vertrat, als irgend ein Pfaffe ſeine
Satzungen. Er ſuchte einen rechten Hoͤllenzwang
auszuuͤben mit idealen und humoriſtiſchen Re¬
densarten und bauete artige Scheiterhaͤufchen aus
Antitheſen, hinkenden Gleichniſſen und gewalt¬
ſamen Witzen, worauf er den Verſtand, den gu¬
ten Willen und ſogar das gute Gewiſſen ſeiner
Gegner zu verbrennen trachtete, ſeiner eigenen
Meinung zum angenehmen Brandopfer.

Dieſe Lieblingsbeſchaͤftigung, nebſt dem reich¬
lichen Tiſch des Grafen, fuͤhrte ihn haͤufig in
das Haus, und da er zugleich eine ehrliche Haut
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nehmungen der Herrſchaft war, ſo wurde er zum
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[378/0388] oder Staub ſchalt und dagegen alles Niegeſehene, Nichtbegriffene, Namenloſe und Unausſprechliche ideal hieß, was eben ſo gut war, als wenn man irgend einen leeren Raum am Himmel Hinter¬ pommern nennen wollte. Als Prieſter aber war er hoͤchſt freiſinnig und uͤber ſeine Kirche, in wel¬ cher er predigte, hinaus; ſeine Religion dagegen war ein aufgeklaͤrter Deismus, welchen er aber viel fanatiſcher vertrat, als irgend ein Pfaffe ſeine Satzungen. Er ſuchte einen rechten Hoͤllenzwang auszuuͤben mit idealen und humoriſtiſchen Re¬ densarten und bauete artige Scheiterhaͤufchen aus Antitheſen, hinkenden Gleichniſſen und gewalt¬ ſamen Witzen, worauf er den Verſtand, den gu¬ ten Willen und ſogar das gute Gewiſſen ſeiner Gegner zu verbrennen trachtete, ſeiner eigenen Meinung zum angenehmen Brandopfer. Dieſe Lieblingsbeſchaͤftigung, nebſt dem reich¬ lichen Tiſch des Grafen, fuͤhrte ihn haͤufig in das Haus, und da er zugleich eine ehrliche Haut und ein redlicher Helfer bei allen guten Unter¬ nehmungen der Herrſchaft war, ſo wurde er zum Beduͤrfniß und zur bleibenden Heiterkeit des

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/388>, abgerufen am 29.03.2024.