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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Zehn mache durch einen verlängerten Strich eine
Unterabtheilung, von Hundert zu Hundert eine
wackere Oberabtheilung, von Tausend zu Tausend
einen Abschluß durch einen tüchtigen Sparren.
Solches Decimalsystem ist vollkommene Zweck¬
mäßigkeit und Logik, das Hinsetzen der einzelnen
Striche aber der in vollkommener Tendenzfreiheit
in reinem Dasein sich ergehende Fleiß. Zugleich
wird dadurch ein höherer Zweck erreicht. Hier
in diesem Versuche zeigt sich immer noch ein ge¬
wisses Können; ein Unerfahrener, Nichtkünstler
hatte diese Gruselei nimmer zu Stande gebracht.
Das Können aber ist von zu leibhafter Schwere
und verursacht tausend Trübungen und Ungleich¬
heiten zwischen den Wollenden; es bringt die
tendenziöse Kritik hervor und steht der reinen
Absicht fort und fort feindlich entgegen. Das
moderne Epos zeigt uns die richtige Bahn! In
ihm zeigen uns begeisterte Seher, wie durch dün¬
nere oder dickere Bände hindurch die unbefleckte,
unschuldige, himmlisch reine Absicht geführt wer¬
den kann, ohne je auf die finsteren Mächte irdi¬
schen Könnens zu stoßen! Eine goldschnittheitere,

Zehn mache durch einen verlaͤngerten Strich eine
Unterabtheilung, von Hundert zu Hundert eine
wackere Oberabtheilung, von Tauſend zu Tauſend
einen Abſchluß durch einen tuͤchtigen Sparren.
Solches Decimalſyſtem iſt vollkommene Zweck¬
maͤßigkeit und Logik, das Hinſetzen der einzelnen
Striche aber der in vollkommener Tendenzfreiheit
in reinem Daſein ſich ergehende Fleiß. Zugleich
wird dadurch ein hoͤherer Zweck erreicht. Hier
in dieſem Verſuche zeigt ſich immer noch ein ge¬
wiſſes Koͤnnen; ein Unerfahrener, Nichtkuͤnſtler
hatte dieſe Gruſelei nimmer zu Stande gebracht.
Das Koͤnnen aber iſt von zu leibhafter Schwere
und verurſacht tauſend Truͤbungen und Ungleich¬
heiten zwiſchen den Wollenden; es bringt die
tendenzioͤſe Kritik hervor und ſteht der reinen
Abſicht fort und fort feindlich entgegen. Das
moderne Epos zeigt uns die richtige Bahn! In
ihm zeigen uns begeiſterte Seher, wie durch duͤn¬
nere oder dickere Baͤnde hindurch die unbefleckte,
unſchuldige, himmliſch reine Abſicht gefuͤhrt wer¬
den kann, ohne je auf die finſteren Maͤchte irdi¬
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[28/0038] Zehn mache durch einen verlaͤngerten Strich eine Unterabtheilung, von Hundert zu Hundert eine wackere Oberabtheilung, von Tauſend zu Tauſend einen Abſchluß durch einen tuͤchtigen Sparren. Solches Decimalſyſtem iſt vollkommene Zweck¬ maͤßigkeit und Logik, das Hinſetzen der einzelnen Striche aber der in vollkommener Tendenzfreiheit in reinem Daſein ſich ergehende Fleiß. Zugleich wird dadurch ein hoͤherer Zweck erreicht. Hier in dieſem Verſuche zeigt ſich immer noch ein ge¬ wiſſes Koͤnnen; ein Unerfahrener, Nichtkuͤnſtler hatte dieſe Gruſelei nimmer zu Stande gebracht. Das Koͤnnen aber iſt von zu leibhafter Schwere und verurſacht tauſend Truͤbungen und Ungleich¬ heiten zwiſchen den Wollenden; es bringt die tendenzioͤſe Kritik hervor und ſteht der reinen Abſicht fort und fort feindlich entgegen. Das moderne Epos zeigt uns die richtige Bahn! In ihm zeigen uns begeiſterte Seher, wie durch duͤn¬ nere oder dickere Baͤnde hindurch die unbefleckte, unſchuldige, himmliſch reine Abſicht gefuͤhrt wer¬ den kann, ohne je auf die finſteren Maͤchte irdi¬ ſchen Koͤnnens zu ſtoßen! Eine goldſchnittheitere,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/38>, abgerufen am 29.03.2024.