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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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an, da es sich von selbst zu verstehen schien, daß
er nie einen Augenblick im Ernste von der Seite
dieser Person wegkäme. Ohne Weiteres stieg er
mit seinem Beschützer in den Wagen und mußte
der Dorothea versprechen, sich in der Hauptstadt
wieder einen grünen Rock anzuschaffen. Als er
das versprach und der Wagen in den sonnigen
Herbst hinausrollte in der gastlichen Gegend, war
es ihm, als ob er böse wäre auf seine arme Mut¬
ter, die da im Vaterland säße und in ihrem
Schweigen die unerhörtesten Ansprüche erhöbe,
Alles zu lassen und stracks ein ungetheiltes Herz
zu ihr zu bringen; denn in seiner Confusion und
bei der Neuheit der Empfindung glaubte er, daß
es jetzt um die Liebe zu seiner Mutter geschehen
sein müsse, da er eine Fremde mit solchen Augen
ansah, wie er noch nie eine angesehen.

In der Stadt angekommen, sah er sich die
Straßen, in denen er in seiner Trübseligkeit um¬
hergegangen, mit Muße an und ging in Gedan¬
ken immer selbander durch dieselben hin. Er
kaufte sich zwei große Stücke Leinwand und alles
dazu gehörige Zeug, auch versah er sich mit neuen

an, da es ſich von ſelbſt zu verſtehen ſchien, daß
er nie einen Augenblick im Ernſte von der Seite
dieſer Perſon wegkaͤme. Ohne Weiteres ſtieg er
mit ſeinem Beſchuͤtzer in den Wagen und mußte
der Dorothea verſprechen, ſich in der Hauptſtadt
wieder einen gruͤnen Rock anzuſchaffen. Als er
das verſprach und der Wagen in den ſonnigen
Herbſt hinausrollte in der gaſtlichen Gegend, war
es ihm, als ob er boͤſe waͤre auf ſeine arme Mut¬
ter, die da im Vaterland ſaͤße und in ihrem
Schweigen die unerhoͤrteſten Anſpruͤche erhoͤbe,
Alles zu laſſen und ſtracks ein ungetheiltes Herz
zu ihr zu bringen; denn in ſeiner Confuſion und
bei der Neuheit der Empfindung glaubte er, daß
es jetzt um die Liebe zu ſeiner Mutter geſchehen
ſein muͤſſe, da er eine Fremde mit ſolchen Augen
anſah, wie er noch nie eine angeſehen.

In der Stadt angekommen, ſah er ſich die
Straßen, in denen er in ſeiner Truͤbſeligkeit um¬
hergegangen, mit Muße an und ging in Gedan¬
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[366/0376] an, da es ſich von ſelbſt zu verſtehen ſchien, daß er nie einen Augenblick im Ernſte von der Seite dieſer Perſon wegkaͤme. Ohne Weiteres ſtieg er mit ſeinem Beſchuͤtzer in den Wagen und mußte der Dorothea verſprechen, ſich in der Hauptſtadt wieder einen gruͤnen Rock anzuſchaffen. Als er das verſprach und der Wagen in den ſonnigen Herbſt hinausrollte in der gaſtlichen Gegend, war es ihm, als ob er boͤſe waͤre auf ſeine arme Mut¬ ter, die da im Vaterland ſaͤße und in ihrem Schweigen die unerhoͤrteſten Anſpruͤche erhoͤbe, Alles zu laſſen und ſtracks ein ungetheiltes Herz zu ihr zu bringen; denn in ſeiner Confuſion und bei der Neuheit der Empfindung glaubte er, daß es jetzt um die Liebe zu ſeiner Mutter geſchehen ſein muͤſſe, da er eine Fremde mit ſolchen Augen anſah, wie er noch nie eine angeſehen. In der Stadt angekommen, ſah er ſich die Straßen, in denen er in ſeiner Truͤbſeligkeit um¬ hergegangen, mit Muße an und ging in Gedan¬ ken immer ſelbander durch dieſelben hin. Er kaufte ſich zwei große Stuͤcke Leinwand und alles dazu gehoͤrige Zeug, auch verſah er ſich mit neuen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/376>, abgerufen am 29.03.2024.