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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Gottesmacher begehrten, daß er jedenfalls den
Rhein hinunterfahren und auch sie besuchen solle.

Inzwischen hatte sich Erikson vor die Staffelei
gestellt und betrachtete höchst verwundert Heinrich's
neueste Arbeit. Dann betrachtete er mit bedenk¬
lichen Blicken den Urheber, welcher in peinlicher
Verlegenheit dastand, und sagte: "Du hast, grü¬
ner Heinrich, mit diesem bedeutenden Werke eine
neue Phase angetreten und begonnen, ein Pro¬
blem zu lösen, welches von größtem Einflusse
auf unsere deutsche Kunstentwickelung sein kann.
Es war in der That längst nicht mehr auszuhal¬
ten, immer von der freien und für sich bestehen¬
den Welt des Schönen, welche durch keine Rea¬
lität, durch keine Tendenz getrübt werden dürfe,
sprechen und raisonniren zu hören, während man
mit der gröbsten Inconsequenz doch immer Men¬
schen, Thiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und
Flur und lauter solche trivial wirkliche Dinge
zum Ausdrucke gebrauchte. Du hast hier einen
gewaltigen Schritt vorwärts gethan von noch
nicht zu bestimmender Tragweite. Denn was
ist das Schöne? Eine reine Idee, dargestellt mit

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Gottesmacher begehrten, daß er jedenfalls den
Rhein hinunterfahren und auch ſie beſuchen ſolle.

Inzwiſchen hatte ſich Erikſon vor die Staffelei
geſtellt und betrachtete hoͤchſt verwundert Heinrich's
neueſte Arbeit. Dann betrachtete er mit bedenk¬
lichen Blicken den Urheber, welcher in peinlicher
Verlegenheit daſtand, und ſagte: »Du haſt, gruͤ¬
ner Heinrich, mit dieſem bedeutenden Werke eine
neue Phaſe angetreten und begonnen, ein Pro¬
blem zu loͤſen, welches von groͤßtem Einfluſſe
auf unſere deutſche Kunſtentwickelung ſein kann.
Es war in der That laͤngſt nicht mehr auszuhal¬
ten, immer von der freien und fuͤr ſich beſtehen¬
den Welt des Schoͤnen, welche durch keine Rea¬
litaͤt, durch keine Tendenz getruͤbt werden duͤrfe,
ſprechen und raiſonniren zu hoͤren, waͤhrend man
mit der groͤbſten Inconſequenz doch immer Men¬
ſchen, Thiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und
Flur und lauter ſolche trivial wirkliche Dinge
zum Ausdrucke gebrauchte. Du haſt hier einen
gewaltigen Schritt vorwaͤrts gethan von noch
nicht zu beſtimmender Tragweite. Denn was
iſt das Schoͤne? Eine reine Idee, dargeſtellt mit

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[25/0035] Gottesmacher begehrten, daß er jedenfalls den Rhein hinunterfahren und auch ſie beſuchen ſolle. Inzwiſchen hatte ſich Erikſon vor die Staffelei geſtellt und betrachtete hoͤchſt verwundert Heinrich's neueſte Arbeit. Dann betrachtete er mit bedenk¬ lichen Blicken den Urheber, welcher in peinlicher Verlegenheit daſtand, und ſagte: »Du haſt, gruͤ¬ ner Heinrich, mit dieſem bedeutenden Werke eine neue Phaſe angetreten und begonnen, ein Pro¬ blem zu loͤſen, welches von groͤßtem Einfluſſe auf unſere deutſche Kunſtentwickelung ſein kann. Es war in der That laͤngſt nicht mehr auszuhal¬ ten, immer von der freien und fuͤr ſich beſtehen¬ den Welt des Schoͤnen, welche durch keine Rea¬ litaͤt, durch keine Tendenz getruͤbt werden duͤrfe, ſprechen und raiſonniren zu hoͤren, waͤhrend man mit der groͤbſten Inconſequenz doch immer Men¬ ſchen, Thiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und Flur und lauter ſolche trivial wirkliche Dinge zum Ausdrucke gebrauchte. Du haſt hier einen gewaltigen Schritt vorwaͤrts gethan von noch nicht zu beſtimmender Tragweite. Denn was iſt das Schoͤne? Eine reine Idee, dargeſtellt mit 2 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/35>, abgerufen am 29.03.2024.