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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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selbst und fragte sich, zum ersten Male in seinem
Leben, ob er selbst nicht eitel sei, und in welcher
Weise, in der verwerflichen oder in der guten
Art? Er setzte sich abermals höchst bedächtig auf
einen Stein und sann darüber nach, traurig und
verfroren; denn in guten jungen Tagen fragt
man sich wohl einmal, ob man gut oder böse sei,
ob aber eitel, anmaßend oder unerträglich, erst
wenn man etwas mürbe geworden und ordentlich
durchgeregnet ist. Da fiel sein Blick auf das
triefende Päcklein, das er in seinen Händen hielt,
und er fand sofort, daß der Inhalt desselben wohl
das Produkt der Selbstgefälligkeit sein dürfte,
welche ihn in so frühem Alter unbewußt getrie¬
ben hatte, ein Bild von sich selbst zu entwerfen
und festzuhalten Doch als er dieses selbe Bild
näher und nicht unliebsam betrachtete und der
Sonnenschein der entschwundenen Jugendzeit durch
das dunkle feuchte Wachstüchelchen zu leuchten
begann, glaubte er sich sagen zu dürfen, daß die
Eitelkeit der eingewickelten Bücher zu der guten
Art gehöre, welche ihren Inhaber zierlich verlockt,
sich selbst zu ergänzen und darzustellen und ihm

ſelbſt und fragte ſich, zum erſten Male in ſeinem
Leben, ob er ſelbſt nicht eitel ſei, und in welcher
Weiſe, in der verwerflichen oder in der guten
Art? Er ſetzte ſich abermals hoͤchſt bedaͤchtig auf
einen Stein und ſann daruͤber nach, traurig und
verfroren; denn in guten jungen Tagen fragt
man ſich wohl einmal, ob man gut oder boͤſe ſei,
ob aber eitel, anmaßend oder unertraͤglich, erſt
wenn man etwas muͤrbe geworden und ordentlich
durchgeregnet iſt. Da fiel ſein Blick auf das
triefende Paͤcklein, das er in ſeinen Haͤnden hielt,
und er fand ſofort, daß der Inhalt deſſelben wohl
das Produkt der Selbſtgefaͤlligkeit ſein duͤrfte,
welche ihn in ſo fruͤhem Alter unbewußt getrie¬
ben hatte, ein Bild von ſich ſelbſt zu entwerfen
und feſtzuhalten Doch als er dieſes ſelbe Bild
naͤher und nicht unliebſam betrachtete und der
Sonnenſchein der entſchwundenen Jugendzeit durch
das dunkle feuchte Wachstuͤchelchen zu leuchten
begann, glaubte er ſich ſagen zu duͤrfen, daß die
Eitelkeit der eingewickelten Buͤcher zu der guten
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[288/0298] ſelbſt und fragte ſich, zum erſten Male in ſeinem Leben, ob er ſelbſt nicht eitel ſei, und in welcher Weiſe, in der verwerflichen oder in der guten Art? Er ſetzte ſich abermals hoͤchſt bedaͤchtig auf einen Stein und ſann daruͤber nach, traurig und verfroren; denn in guten jungen Tagen fragt man ſich wohl einmal, ob man gut oder boͤſe ſei, ob aber eitel, anmaßend oder unertraͤglich, erſt wenn man etwas muͤrbe geworden und ordentlich durchgeregnet iſt. Da fiel ſein Blick auf das triefende Paͤcklein, das er in ſeinen Haͤnden hielt, und er fand ſofort, daß der Inhalt deſſelben wohl das Produkt der Selbſtgefaͤlligkeit ſein duͤrfte, welche ihn in ſo fruͤhem Alter unbewußt getrie¬ ben hatte, ein Bild von ſich ſelbſt zu entwerfen und feſtzuhalten Doch als er dieſes ſelbe Bild naͤher und nicht unliebſam betrachtete und der Sonnenſchein der entſchwundenen Jugendzeit durch das dunkle feuchte Wachstuͤchelchen zu leuchten begann, glaubte er ſich ſagen zu duͤrfen, daß die Eitelkeit der eingewickelten Buͤcher zu der guten Art gehoͤre, welche ihren Inhaber zierlich verlockt, ſich ſelbſt zu ergaͤnzen und darzuſtellen und ihm

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/298>, abgerufen am 18.04.2024.