Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

in Küche und Keller, auf dem Estrich rund in der
Stube herum, als ob man nie auf der Brücke
gewesen wäre, bis man plötzlich einmal den Kopf
aus dem Fenster steckt und sieht, ob sie noch stehe;
denn von allen Punkten aus kann man sie ragen
und sich erstrecken sehen. So ist sie ein prächtiges
Monument und doch nur eine Brücke, nicht mehr
als der geringste Brettersteg; eine bloße Geh- und
Fahrbrücke und doch wieder eine statiöse Volks¬
halle."

Plötzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen
Seiten mit biederer Achtung begrüßt wurde,
welche sich besonders dadurch kund gab, daß
Manche mit einem vertraulichen Griffe und wich¬
tiger Miene seinen strotzenden Mantelsack betaste¬
ten, wie etwa die Bauern auf den Viehmärkten
die Weichen einer Kuh betasten und kneifen und
dann wieder weiter gehen.

"Der Tausend," sagte Heinrich, "das sind ja
absonderliche Manieren! ich glaubte, es kenne
mich hier kein Mensch"

"Es gilt auch," sagte das Pferd, "nicht sowohl
Dir, als Deinem schweren Quersack, Deiner

in Kuͤche und Keller, auf dem Eſtrich rund in der
Stube herum, als ob man nie auf der Bruͤcke
geweſen waͤre, bis man ploͤtzlich einmal den Kopf
aus dem Fenſter ſteckt und ſieht, ob ſie noch ſtehe;
denn von allen Punkten aus kann man ſie ragen
und ſich erſtrecken ſehen. So iſt ſie ein praͤchtiges
Monument und doch nur eine Bruͤcke, nicht mehr
als der geringſte Bretterſteg; eine bloße Geh- und
Fahrbruͤcke und doch wieder eine ſtatioͤſe Volks¬
halle.«

Ploͤtzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen
Seiten mit biederer Achtung begruͤßt wurde,
welche ſich beſonders dadurch kund gab, daß
Manche mit einem vertraulichen Griffe und wich¬
tiger Miene ſeinen ſtrotzenden Mantelſack betaſte¬
ten, wie etwa die Bauern auf den Viehmaͤrkten
die Weichen einer Kuh betaſten und kneifen und
dann wieder weiter gehen.

»Der Tauſend,« ſagte Heinrich, »das ſind ja
abſonderliche Manieren! ich glaubte, es kenne
mich hier kein Menſch«

»Es gilt auch,« ſagte das Pferd, »nicht ſowohl
Dir, als Deinem ſchweren Querſack, Deiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0261" n="251"/>
in Ku&#x0364;che und Keller, auf dem E&#x017F;trich rund in der<lb/>
Stube herum, als ob man nie auf der Bru&#x0364;cke<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, bis man plo&#x0364;tzlich einmal den Kopf<lb/>
aus dem Fen&#x017F;ter &#x017F;teckt und &#x017F;ieht, ob &#x017F;ie noch &#x017F;tehe;<lb/>
denn von allen Punkten aus kann man &#x017F;ie ragen<lb/>
und &#x017F;ich er&#x017F;trecken &#x017F;ehen. So i&#x017F;t &#x017F;ie ein pra&#x0364;chtiges<lb/>
Monument und doch nur eine Bru&#x0364;cke, nicht mehr<lb/>
als der gering&#x017F;te Bretter&#x017F;teg; eine bloße Geh- und<lb/>
Fahrbru&#x0364;cke und doch wieder eine &#x017F;tatio&#x0364;&#x017F;e Volks¬<lb/>
halle.«</p><lb/>
        <p>Plo&#x0364;tzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen<lb/>
Seiten mit biederer Achtung begru&#x0364;ßt wurde,<lb/>
welche &#x017F;ich be&#x017F;onders dadurch kund gab, daß<lb/>
Manche mit einem vertraulichen Griffe und wich¬<lb/>
tiger Miene &#x017F;einen &#x017F;trotzenden Mantel&#x017F;ack beta&#x017F;te¬<lb/>
ten, wie etwa die Bauern auf den Viehma&#x0364;rkten<lb/>
die Weichen einer Kuh beta&#x017F;ten und kneifen und<lb/>
dann wieder weiter gehen.</p><lb/>
        <p>»Der Tau&#x017F;end,« &#x017F;agte Heinrich, »das &#x017F;ind ja<lb/>
ab&#x017F;onderliche Manieren! ich glaubte, es kenne<lb/>
mich hier kein Men&#x017F;ch«</p><lb/>
        <p>»Es gilt auch,« &#x017F;agte das Pferd, »nicht &#x017F;owohl<lb/>
Dir, als Deinem &#x017F;chweren Quer&#x017F;ack, Deiner<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0261] in Kuͤche und Keller, auf dem Eſtrich rund in der Stube herum, als ob man nie auf der Bruͤcke geweſen waͤre, bis man ploͤtzlich einmal den Kopf aus dem Fenſter ſteckt und ſieht, ob ſie noch ſtehe; denn von allen Punkten aus kann man ſie ragen und ſich erſtrecken ſehen. So iſt ſie ein praͤchtiges Monument und doch nur eine Bruͤcke, nicht mehr als der geringſte Bretterſteg; eine bloße Geh- und Fahrbruͤcke und doch wieder eine ſtatioͤſe Volks¬ halle.« Ploͤtzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen Seiten mit biederer Achtung begruͤßt wurde, welche ſich beſonders dadurch kund gab, daß Manche mit einem vertraulichen Griffe und wich¬ tiger Miene ſeinen ſtrotzenden Mantelſack betaſte¬ ten, wie etwa die Bauern auf den Viehmaͤrkten die Weichen einer Kuh betaſten und kneifen und dann wieder weiter gehen. »Der Tauſend,« ſagte Heinrich, »das ſind ja abſonderliche Manieren! ich glaubte, es kenne mich hier kein Menſch« »Es gilt auch,« ſagte das Pferd, »nicht ſowohl Dir, als Deinem ſchweren Querſack, Deiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/261
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/261>, abgerufen am 25.04.2024.