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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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stattliche Brückenleben eigentlich ein Uebergang,
wie es einer Brücke geziemt, oder ein Ziel, wie
es ihr auch wieder geziemen könnte, da sie so
hübsch ist, ein Zweck oder ein Mittel sei? Ein
bloßes Bindemittel oder eine in sich ruhende
Vereinigung? Ein Ausgang oder ein Eingang,
ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O?
Dies nimmt mich Wunder!"

Das weise Pferd erwiederte: "Alles dies
ist zumal der Fall und das ist eben das Herrliche
und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die
schönen Ufer wäre die Brücke nichts und ohne
die Brücke wären die Ufer nichts. Alles, was
auf der Brücke geht, ist und bedeutet nur etwas,
insofern es aus dem Gelände hüben und drüben
kommt und wieder dahin geht und dort etwas
Rechtes ist, und dort kann man es wiederum nur
sein, wenn man als etwas Rechtes über die
Brücke gegangen ist Wenn man auf der Brücke
ist, so denkt man an nichts Anderes und stürzt
sich in den Verkehr, indessen man doch unversehens
hinüber gelangt und wieder in seiner besonderen
Behausung ist. Dort duselt und hantirt man

ſtattliche Bruͤckenleben eigentlich ein Uebergang,
wie es einer Bruͤcke geziemt, oder ein Ziel, wie
es ihr auch wieder geziemen koͤnnte, da ſie ſo
huͤbſch iſt, ein Zweck oder ein Mittel ſei? Ein
bloßes Bindemittel oder eine in ſich ruhende
Vereinigung? Ein Ausgang oder ein Eingang,
ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O?
Dies nimmt mich Wunder!«

Das weiſe Pferd erwiederte: »Alles dies
iſt zumal der Fall und das iſt eben das Herrliche
und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die
ſchoͤnen Ufer waͤre die Bruͤcke nichts und ohne
die Bruͤcke waͤren die Ufer nichts. Alles, was
auf der Bruͤcke geht, iſt und bedeutet nur etwas,
inſofern es aus dem Gelaͤnde huͤben und druͤben
kommt und wieder dahin geht und dort etwas
Rechtes iſt, und dort kann man es wiederum nur
ſein, wenn man als etwas Rechtes uͤber die
Bruͤcke gegangen iſt Wenn man auf der Bruͤcke
iſt, ſo denkt man an nichts Anderes und ſtuͤrzt
ſich in den Verkehr, indeſſen man doch unverſehens
hinuͤber gelangt und wieder in ſeiner beſonderen
Behauſung iſt. Dort duſelt und hantirt man

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[250/0260] ſtattliche Bruͤckenleben eigentlich ein Uebergang, wie es einer Bruͤcke geziemt, oder ein Ziel, wie es ihr auch wieder geziemen koͤnnte, da ſie ſo huͤbſch iſt, ein Zweck oder ein Mittel ſei? Ein bloßes Bindemittel oder eine in ſich ruhende Vereinigung? Ein Ausgang oder ein Eingang, ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O? Dies nimmt mich Wunder!« Das weiſe Pferd erwiederte: »Alles dies iſt zumal der Fall und das iſt eben das Herrliche und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die ſchoͤnen Ufer waͤre die Bruͤcke nichts und ohne die Bruͤcke waͤren die Ufer nichts. Alles, was auf der Bruͤcke geht, iſt und bedeutet nur etwas, inſofern es aus dem Gelaͤnde huͤben und druͤben kommt und wieder dahin geht und dort etwas Rechtes iſt, und dort kann man es wiederum nur ſein, wenn man als etwas Rechtes uͤber die Bruͤcke gegangen iſt Wenn man auf der Bruͤcke iſt, ſo denkt man an nichts Anderes und ſtuͤrzt ſich in den Verkehr, indeſſen man doch unverſehens hinuͤber gelangt und wieder in ſeiner beſonderen Behauſung iſt. Dort duſelt und hantirt man

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/260>, abgerufen am 28.03.2024.