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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Zur rechten Zeit sah er den Goldfuchs neben
sich stehen, legte ihm den Mantelsack auf und be¬
gann den jähen Staffelweg hinunterzureiten, der
an die Brücke führte. Jede Staffel war aber
ein geschliffener Bergkrystall, in welchem gewisser¬
maßen als Kern ein spannelanges pudelnacktes
Weibchen eingeschlossen lag, von unbeschreiblichem
Ebenmaß und Schönheit der kleinen Gliederchen.
Während der Goldfuchs den halsbrechenden Weg
hinuntertrabte und jeden Augenblick mit seinem
Reiter in den Abgrund zu stürzen drohte, bog
sich Heinrich links und rechts vom Sattel und
suchte mit sehnsuchtsvollen Blicken in den Kern
der durchsichtigen Krystallstufen zu dringen. "Tau¬
send noch einmal!" rief er lüstern aus, was
mögen das nur für allerliebste närrische Wesen
sein in dieser verwünschten Treppe?" "Ei was
wird's sein?" erwiederte das Pferd, indem es
springend den Kopf zurückwandte, "das sind nur
die guten Dinge und Ideen, welche der Boden
der Heimath in sich schließt, und welche derjenige
herausklopft, der im Lande bleibt und sich redlich
nährt!"

Zur rechten Zeit ſah er den Goldfuchs neben
ſich ſtehen, legte ihm den Mantelſack auf und be¬
gann den jaͤhen Staffelweg hinunterzureiten, der
an die Bruͤcke fuͤhrte. Jede Staffel war aber
ein geſchliffener Bergkryſtall, in welchem gewiſſer¬
maßen als Kern ein ſpannelanges pudelnacktes
Weibchen eingeſchloſſen lag, von unbeſchreiblichem
Ebenmaß und Schoͤnheit der kleinen Gliederchen.
Waͤhrend der Goldfuchs den halsbrechenden Weg
hinuntertrabte und jeden Augenblick mit ſeinem
Reiter in den Abgrund zu ſtuͤrzen drohte, bog
ſich Heinrich links und rechts vom Sattel und
ſuchte mit ſehnſuchtsvollen Blicken in den Kern
der durchſichtigen Kryſtallſtufen zu dringen. »Tau¬
ſend noch einmal!« rief er luͤſtern aus, was
moͤgen das nur fuͤr allerliebſte naͤrriſche Weſen
ſein in dieſer verwuͤnſchten Treppe?« »Ei was
wird's ſein?« erwiederte das Pferd, indem es
ſpringend den Kopf zuruͤckwandte, »das ſind nur
die guten Dinge und Ideen, welche der Boden
der Heimath in ſich ſchließt, und welche derjenige
herausklopft, der im Lande bleibt und ſich redlich
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[238/0248] Zur rechten Zeit ſah er den Goldfuchs neben ſich ſtehen, legte ihm den Mantelſack auf und be¬ gann den jaͤhen Staffelweg hinunterzureiten, der an die Bruͤcke fuͤhrte. Jede Staffel war aber ein geſchliffener Bergkryſtall, in welchem gewiſſer¬ maßen als Kern ein ſpannelanges pudelnacktes Weibchen eingeſchloſſen lag, von unbeſchreiblichem Ebenmaß und Schoͤnheit der kleinen Gliederchen. Waͤhrend der Goldfuchs den halsbrechenden Weg hinuntertrabte und jeden Augenblick mit ſeinem Reiter in den Abgrund zu ſtuͤrzen drohte, bog ſich Heinrich links und rechts vom Sattel und ſuchte mit ſehnſuchtsvollen Blicken in den Kern der durchſichtigen Kryſtallſtufen zu dringen. »Tau¬ ſend noch einmal!« rief er luͤſtern aus, was moͤgen das nur fuͤr allerliebſte naͤrriſche Weſen ſein in dieſer verwuͤnſchten Treppe?« »Ei was wird's ſein?« erwiederte das Pferd, indem es ſpringend den Kopf zuruͤckwandte, »das ſind nur die guten Dinge und Ideen, welche der Boden der Heimath in ſich ſchließt, und welche derjenige herausklopft, der im Lande bleibt und ſich redlich naͤhrt!«

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/248>, abgerufen am 18.04.2024.