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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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senden davonfliegen, indeß er selbst traurig in
die Stadt zurückkehrte, welche ihm nun vollends
zu einem Aufenthalt des Elendes, der Verban¬
nung wurde. Aber dieser Zustand war nun schon
wieder ein anderer geworden als erst vor einem
Tage, und durch die Begegnung mit dem Lands¬
manne und dessen Mittheilungen nahm sein lei¬
dendes Verhalten eine bestimmte und veredelte
Gestalt, und er fühlte sich durch einen klaren
nothwendigen Verlauf der Dinge, durch die Er¬
füllung eines jeden Theilchens seiner Selbstbe¬
stimmung und Verschuldung an das ferne Elend
gefesselt, während alle seine Gedanken mit tiefer
Sehnsucht nach der Heimath zogen, wo er un¬
aufhörlich das Bild seiner Mutter an dem drehen¬
den Rade sitzen, durch die Straßen der alten
Stadt gehen oder auf dem sonnbeglänzten Haus¬
dache emporragen sah.

Sein ganzes Wesen wurde von diesen Bildern
und von glänzenden Vorstellungen der Heimath
getränkt und durchdrungen, und die einfache
Rückkehr nach derselben erschien ihm jetzt nach
all den Hoffnungen und Bestrebungen das wün¬

ſenden davonfliegen, indeß er ſelbſt traurig in
die Stadt zuruͤckkehrte, welche ihm nun vollends
zu einem Aufenthalt des Elendes, der Verban¬
nung wurde. Aber dieſer Zuſtand war nun ſchon
wieder ein anderer geworden als erſt vor einem
Tage, und durch die Begegnung mit dem Lands¬
manne und deſſen Mittheilungen nahm ſein lei¬
dendes Verhalten eine beſtimmte und veredelte
Geſtalt, und er fuͤhlte ſich durch einen klaren
nothwendigen Verlauf der Dinge, durch die Er¬
fuͤllung eines jeden Theilchens ſeiner Selbſtbe¬
ſtimmung und Verſchuldung an das ferne Elend
gefeſſelt, waͤhrend alle ſeine Gedanken mit tiefer
Sehnſucht nach der Heimath zogen, wo er un¬
aufhoͤrlich das Bild ſeiner Mutter an dem drehen¬
den Rade ſitzen, durch die Straßen der alten
Stadt gehen oder auf dem ſonnbeglaͤnzten Haus¬
dache emporragen ſah.

Sein ganzes Weſen wurde von dieſen Bildern
und von glaͤnzenden Vorſtellungen der Heimath
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[219/0229] ſenden davonfliegen, indeß er ſelbſt traurig in die Stadt zuruͤckkehrte, welche ihm nun vollends zu einem Aufenthalt des Elendes, der Verban¬ nung wurde. Aber dieſer Zuſtand war nun ſchon wieder ein anderer geworden als erſt vor einem Tage, und durch die Begegnung mit dem Lands¬ manne und deſſen Mittheilungen nahm ſein lei¬ dendes Verhalten eine beſtimmte und veredelte Geſtalt, und er fuͤhlte ſich durch einen klaren nothwendigen Verlauf der Dinge, durch die Er¬ fuͤllung eines jeden Theilchens ſeiner Selbſtbe¬ ſtimmung und Verſchuldung an das ferne Elend gefeſſelt, waͤhrend alle ſeine Gedanken mit tiefer Sehnſucht nach der Heimath zogen, wo er un¬ aufhoͤrlich das Bild ſeiner Mutter an dem drehen¬ den Rade ſitzen, durch die Straßen der alten Stadt gehen oder auf dem ſonnbeglaͤnzten Haus¬ dache emporragen ſah. Sein ganzes Weſen wurde von dieſen Bildern und von glaͤnzenden Vorſtellungen der Heimath getraͤnkt und durchdrungen, und die einfache Ruͤckkehr nach derſelben erſchien ihm jetzt nach all den Hoffnungen und Beſtrebungen das wuͤn¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/229>, abgerufen am 28.03.2024.