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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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bemerkten. Er ging jetzt auch schlecht in Kleidern
einher und mußte tausend Geschicklichkeiten erwer¬
ben, dies so gut als möglich zu verbergen, und alles
dies und wenn ihm das Wasser in die zerrissenen
Sohlen drang, lehrte ihn mit stummer Beredtsam¬
keit die menschlichen Dinge zu empfinden und zog
und bog den grünen Zweig seines Wesens kräftig
nach allen Seiten, daß er geschmeidig wurde.

Er ertrug das Härteste ohne Verbitterung
und ohne Hoffnungslosigkeit, wohl fühlend, daß
eher ein Berg einstürzt, als ein Menschenwesen
ohne angemessene Schuld zu Grunde geht; wenn
er sich selbst sah, wie er eben so still und geduldig
alle Strapazen, Entbehrungen und Demüthigun¬
gen zu bestehen, als behende und begehrlich, wie
ein hungriges Füchslein, ein sich darbietendes
Lebensmittelchen zu erschnappen und auch dem
Allerwenigsten dankbar einen hohen Werth beizu¬
legen verstand, ohne sich doch gierig und thierisch
zu geberden, so übte er sich gerade an diesem
Schauspiel, sein besseres Bewußtsein über dasselbe
zu erheben ohne geistige Ueberhebung und Mysti¬
cismus, und sein edleres Ich beschaulich aus dem

bemerkten. Er ging jetzt auch ſchlecht in Kleidern
einher und mußte tauſend Geſchicklichkeiten erwer¬
ben, dies ſo gut als moͤglich zu verbergen, und alles
dies und wenn ihm das Waſſer in die zerriſſenen
Sohlen drang, lehrte ihn mit ſtummer Beredtſam¬
keit die menſchlichen Dinge zu empfinden und zog
und bog den gruͤnen Zweig ſeines Weſens kraͤftig
nach allen Seiten, daß er geſchmeidig wurde.

Er ertrug das Haͤrteſte ohne Verbitterung
und ohne Hoffnungsloſigkeit, wohl fuͤhlend, daß
eher ein Berg einſtuͤrzt, als ein Menſchenweſen
ohne angemeſſene Schuld zu Grunde geht; wenn
er ſich ſelbſt ſah, wie er eben ſo ſtill und geduldig
alle Strapazen, Entbehrungen und Demuͤthigun¬
gen zu beſtehen, als behende und begehrlich, wie
ein hungriges Fuͤchslein, ein ſich darbietendes
Lebensmittelchen zu erſchnappen und auch dem
Allerwenigſten dankbar einen hohen Werth beizu¬
legen verſtand, ohne ſich doch gierig und thieriſch
zu geberden, ſo uͤbte er ſich gerade an dieſem
Schauſpiel, ſein beſſeres Bewußtſein uͤber daſſelbe
zu erheben ohne geiſtige Ueberhebung und Myſti¬
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[203/0213] bemerkten. Er ging jetzt auch ſchlecht in Kleidern einher und mußte tauſend Geſchicklichkeiten erwer¬ ben, dies ſo gut als moͤglich zu verbergen, und alles dies und wenn ihm das Waſſer in die zerriſſenen Sohlen drang, lehrte ihn mit ſtummer Beredtſam¬ keit die menſchlichen Dinge zu empfinden und zog und bog den gruͤnen Zweig ſeines Weſens kraͤftig nach allen Seiten, daß er geſchmeidig wurde. Er ertrug das Haͤrteſte ohne Verbitterung und ohne Hoffnungsloſigkeit, wohl fuͤhlend, daß eher ein Berg einſtuͤrzt, als ein Menſchenweſen ohne angemeſſene Schuld zu Grunde geht; wenn er ſich ſelbſt ſah, wie er eben ſo ſtill und geduldig alle Strapazen, Entbehrungen und Demuͤthigun¬ gen zu beſtehen, als behende und begehrlich, wie ein hungriges Fuͤchslein, ein ſich darbietendes Lebensmittelchen zu erſchnappen und auch dem Allerwenigſten dankbar einen hohen Werth beizu¬ legen verſtand, ohne ſich doch gierig und thieriſch zu geberden, ſo uͤbte er ſich gerade an dieſem Schauſpiel, ſein beſſeres Bewußtſein uͤber daſſelbe zu erheben ohne geiſtige Ueberhebung und Myſti¬ cismus, und ſein edleres Ich beſchaulich aus dem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/213>, abgerufen am 29.03.2024.