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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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um einmal die Sonne zu genießen und ein schö¬
nes junges Königskind anzusehen." Heinrich
fühlte sich nicht berufen, dem Alten auseinander¬
zusetzen, inwiefern er Recht oder Unrecht habe
mit seiner Zufriedenheit und seiner Anschauung, ging
jedoch vor die Stadt hinaus, um jedenfalls etwas
Luft zu schöpfen. Er sah nun auf dem Wege
die ganze Herrlichkeit fertig und mit einem Male,
Alles schwamm, flatterte, glänzte und schimmerte
in Farben, Gold und Grün, und ein unzähliger
Menschenstrom wälzte sich vor das Thor, wo eine
schon vorhandene gleiche Menge auf dem Felde
lagerte und zechte, als ob es gälte, ein Ilion
von Tonnen zu bezwingen. Aber die goldene
Nachmittagssonne rechtfertigte und verklärte allen
Lärm, alles Toben und alle Lust; Heinrich ath¬
mete tief auf und es war ihm zu Muth, als ob
er ein Jahr lang am Schatten gelegen hätte in
einem kalten Gefängniß, so wärmend und wohl¬
thuend strömte der goldene Schein auf ihn ein.

Plötzlich ertönte Kanonendonner, Glockenge¬
läute über der ganzen weitgedehnten Stadt, Mu¬
sik erschallte an allen Enden, die Trommeln wur¬

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um einmal die Sonne zu genießen und ein ſchoͤ¬
nes junges Koͤnigskind anzuſehen.« Heinrich
fuͤhlte ſich nicht berufen, dem Alten auseinander¬
zuſetzen, inwiefern er Recht oder Unrecht habe
mit ſeiner Zufriedenheit und ſeiner Anſchauung, ging
jedoch vor die Stadt hinaus, um jedenfalls etwas
Luft zu ſchoͤpfen. Er ſah nun auf dem Wege
die ganze Herrlichkeit fertig und mit einem Male,
Alles ſchwamm, flatterte, glaͤnzte und ſchimmerte
in Farben, Gold und Gruͤn, und ein unzaͤhliger
Menſchenſtrom waͤlzte ſich vor das Thor, wo eine
ſchon vorhandene gleiche Menge auf dem Felde
lagerte und zechte, als ob es gaͤlte, ein Ilion
von Tonnen zu bezwingen. Aber die goldene
Nachmittagsſonne rechtfertigte und verklaͤrte allen
Laͤrm, alles Toben und alle Luſt; Heinrich ath¬
mete tief auf und es war ihm zu Muth, als ob
er ein Jahr lang am Schatten gelegen haͤtte in
einem kalten Gefaͤngniß, ſo waͤrmend und wohl¬
thuend ſtroͤmte der goldene Schein auf ihn ein.

Ploͤtzlich ertoͤnte Kanonendonner, Glockenge¬
laͤute uͤber der ganzen weitgedehnten Stadt, Mu¬
ſik erſchallte an allen Enden, die Trommeln wur¬

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[195/0205] um einmal die Sonne zu genießen und ein ſchoͤ¬ nes junges Koͤnigskind anzuſehen.« Heinrich fuͤhlte ſich nicht berufen, dem Alten auseinander¬ zuſetzen, inwiefern er Recht oder Unrecht habe mit ſeiner Zufriedenheit und ſeiner Anſchauung, ging jedoch vor die Stadt hinaus, um jedenfalls etwas Luft zu ſchoͤpfen. Er ſah nun auf dem Wege die ganze Herrlichkeit fertig und mit einem Male, Alles ſchwamm, flatterte, glaͤnzte und ſchimmerte in Farben, Gold und Gruͤn, und ein unzaͤhliger Menſchenſtrom waͤlzte ſich vor das Thor, wo eine ſchon vorhandene gleiche Menge auf dem Felde lagerte und zechte, als ob es gaͤlte, ein Ilion von Tonnen zu bezwingen. Aber die goldene Nachmittagsſonne rechtfertigte und verklaͤrte allen Laͤrm, alles Toben und alle Luſt; Heinrich ath¬ mete tief auf und es war ihm zu Muth, als ob er ein Jahr lang am Schatten gelegen haͤtte in einem kalten Gefaͤngniß, ſo waͤrmend und wohl¬ thuend ſtroͤmte der goldene Schein auf ihn ein. Ploͤtzlich ertoͤnte Kanonendonner, Glockenge¬ laͤute uͤber der ganzen weitgedehnten Stadt, Mu¬ ſik erſchallte an allen Enden, die Trommeln wur¬ 13 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/205>, abgerufen am 24.04.2024.