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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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waren seine Aussichten nicht die rosenfarbensten,
und ein Gefühl dieser Art, abgesehen von dem
neulich Erlebten, gab seinem Treiben eine dunkle
Grundlage. Indessen war es ihm unmöglich,
aus sich herauszugehen, und da er sich unterrichtete
und zugleich deutsche Luft athmete, so war es er¬
klärlich, daß er in seiner rhetorischen Welt ein
Weiser und Gerechter, ein geachteter Tonangeber
war, äußerst Weises und Gerechtes dachte und
sprach, ohne im mindesten etwas Gerechtes wirk¬
lich zu thun, d. h. für Gegenwart und Zukunft
thätlich einzustehen.

Das Ende davon war, daß er sich nach
Verlauf einer guten Zeit mit noch weit bedeuten¬
deren Schulden überhäuft sah als das erste Mal,
und diesmal war Er es, welcher zuerst das Schwei¬
gen brach und, da er sich durchaus zu leben und
etwas zu werden getraute, seiner Mutter in einem
überzeugenden und hoffnungsvollen Briefe die
Nothwendigkeit darthat, noch einmal eine gründ¬
liche und umfangreichere Aushülfe zu veranstalten.
Es war dies weniger eine unedle und selbstsüchtige
Zumuthung, als das ehrliche Bestreben, ehe man

waren ſeine Ausſichten nicht die roſenfarbenſten,
und ein Gefuͤhl dieſer Art, abgeſehen von dem
neulich Erlebten, gab ſeinem Treiben eine dunkle
Grundlage. Indeſſen war es ihm unmoͤglich,
aus ſich herauszugehen, und da er ſich unterrichtete
und zugleich deutſche Luft athmete, ſo war es er¬
klaͤrlich, daß er in ſeiner rhetoriſchen Welt ein
Weiſer und Gerechter, ein geachteter Tonangeber
war, aͤußerſt Weiſes und Gerechtes dachte und
ſprach, ohne im mindeſten etwas Gerechtes wirk¬
lich zu thun, d. h. fuͤr Gegenwart und Zukunft
thaͤtlich einzuſtehen.

Das Ende davon war, daß er ſich nach
Verlauf einer guten Zeit mit noch weit bedeuten¬
deren Schulden uͤberhaͤuft ſah als das erſte Mal,
und diesmal war Er es, welcher zuerſt das Schwei¬
gen brach und, da er ſich durchaus zu leben und
etwas zu werden getraute, ſeiner Mutter in einem
uͤberzeugenden und hoffnungsvollen Briefe die
Nothwendigkeit darthat, noch einmal eine gruͤnd¬
liche und umfangreichere Aushuͤlfe zu veranſtalten.
Es war dies weniger eine unedle und ſelbſtſuͤchtige
Zumuthung, als das ehrliche Beſtreben, ehe man

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[150/0160] waren ſeine Ausſichten nicht die roſenfarbenſten, und ein Gefuͤhl dieſer Art, abgeſehen von dem neulich Erlebten, gab ſeinem Treiben eine dunkle Grundlage. Indeſſen war es ihm unmoͤglich, aus ſich herauszugehen, und da er ſich unterrichtete und zugleich deutſche Luft athmete, ſo war es er¬ klaͤrlich, daß er in ſeiner rhetoriſchen Welt ein Weiſer und Gerechter, ein geachteter Tonangeber war, aͤußerſt Weiſes und Gerechtes dachte und ſprach, ohne im mindeſten etwas Gerechtes wirk¬ lich zu thun, d. h. fuͤr Gegenwart und Zukunft thaͤtlich einzuſtehen. Das Ende davon war, daß er ſich nach Verlauf einer guten Zeit mit noch weit bedeuten¬ deren Schulden uͤberhaͤuft ſah als das erſte Mal, und diesmal war Er es, welcher zuerſt das Schwei¬ gen brach und, da er ſich durchaus zu leben und etwas zu werden getraute, ſeiner Mutter in einem uͤberzeugenden und hoffnungsvollen Briefe die Nothwendigkeit darthat, noch einmal eine gruͤnd¬ liche und umfangreichere Aushuͤlfe zu veranſtalten. Es war dies weniger eine unedle und ſelbſtſuͤchtige Zumuthung, als das ehrliche Beſtreben, ehe man

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/160>, abgerufen am 24.04.2024.