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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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graph, der Paragraph der Kindsköpfe, die nichts
erfahren haben, nichts erfahren wollen und nichts
sein und bleiben werden, als eben Kindsköpfe.
Verhältnisse, welche durch Schulden zerstört wer¬
den, haben von Anfang an nichts getaugt, und
es ist ein närrisches Wesen der Leute, daß sie
wollen Leute sein und gute Freunde bleiben, ohne
ihr gemüthliches Vertrauen, ihre Achtung und
Liebe irgendwie auf eine wirklich "unbequeme"
Weise prüfen und beweisen zu müssen. Ein kluger
Mann wird daher jene kurzgeschorene Kahlmäuser-
Weisheit kassiren und zu seinem Sohne sagen:
"Mein Sohn! wenn Du ohne Noth und so zu
sagen zu Deinem Vergnügen Schulden machst,
so bist Du in meinen Augen nicht sowohl ein
Leichtsinniger, als vielmehr eine niedrige Seele,
die ich im Verdachte eines schmutzigen Eigennutzes
habe, der Andere unter dem Deckmantel einer ge¬
müthlichen Liederlichkeit absichtlich um ihre Habe
bringt. Wenn aber ein Solcher von Dir bor¬
gen will, so weise ihn ab; denn es ist besser, Du
lachest über ihn, als er über Dich! Wenn Du
hingegen in Verlegenheit geräthst, so borge so

graph, der Paragraph der Kindskoͤpfe, die nichts
erfahren haben, nichts erfahren wollen und nichts
ſein und bleiben werden, als eben Kindskoͤpfe.
Verhaͤltniſſe, welche durch Schulden zerſtoͤrt wer¬
den, haben von Anfang an nichts getaugt, und
es iſt ein naͤrriſches Weſen der Leute, daß ſie
wollen Leute ſein und gute Freunde bleiben, ohne
ihr gemuͤthliches Vertrauen, ihre Achtung und
Liebe irgendwie auf eine wirklich »unbequeme«
Weiſe pruͤfen und beweiſen zu muͤſſen. Ein kluger
Mann wird daher jene kurzgeſchorene Kahlmaͤuſer-
Weisheit kaſſiren und zu ſeinem Sohne ſagen:
»Mein Sohn! wenn Du ohne Noth und ſo zu
ſagen zu Deinem Vergnuͤgen Schulden machſt,
ſo biſt Du in meinen Augen nicht ſowohl ein
Leichtſinniger, als vielmehr eine niedrige Seele,
die ich im Verdachte eines ſchmutzigen Eigennutzes
habe, der Andere unter dem Deckmantel einer ge¬
muͤthlichen Liederlichkeit abſichtlich um ihre Habe
bringt. Wenn aber ein Solcher von Dir bor¬
gen will, ſo weiſe ihn ab; denn es iſt beſſer, Du
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[136/0146] graph, der Paragraph der Kindskoͤpfe, die nichts erfahren haben, nichts erfahren wollen und nichts ſein und bleiben werden, als eben Kindskoͤpfe. Verhaͤltniſſe, welche durch Schulden zerſtoͤrt wer¬ den, haben von Anfang an nichts getaugt, und es iſt ein naͤrriſches Weſen der Leute, daß ſie wollen Leute ſein und gute Freunde bleiben, ohne ihr gemuͤthliches Vertrauen, ihre Achtung und Liebe irgendwie auf eine wirklich »unbequeme« Weiſe pruͤfen und beweiſen zu muͤſſen. Ein kluger Mann wird daher jene kurzgeſchorene Kahlmaͤuſer- Weisheit kaſſiren und zu ſeinem Sohne ſagen: »Mein Sohn! wenn Du ohne Noth und ſo zu ſagen zu Deinem Vergnuͤgen Schulden machſt, ſo biſt Du in meinen Augen nicht ſowohl ein Leichtſinniger, als vielmehr eine niedrige Seele, die ich im Verdachte eines ſchmutzigen Eigennutzes habe, der Andere unter dem Deckmantel einer ge¬ muͤthlichen Liederlichkeit abſichtlich um ihre Habe bringt. Wenn aber ein Solcher von Dir bor¬ gen will, ſo weiſe ihn ab; denn es iſt beſſer, Du lacheſt uͤber ihn, als er uͤber Dich! Wenn Du hingegen in Verlegenheit geraͤthſt, ſo borge ſo

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/146>, abgerufen am 23.04.2024.