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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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gleich jenen rüstigen Weltmenschen, welche sich
desto mehr mit einem glückhaften Erwerbe brüsten,
je werthloser und thörichter das ist, was sie leisten
und durch irgend eine verkehrte Laune des Ge¬
schmackes unterzubringen wissen.

Während er aber solche stolze Ehrlichkeit be¬
saß, besann er sich, da er Credit fand als ein un¬
bescholtener junger Mensch, gar nicht, Schulden
zu machen, und fand es ganz in der Ordnung,
auf diese Weise bequem und ohne weiteres Kopf¬
zerbrechen das zweite Jahr hindurch zu leben.

Die Schulden sind für den modernen Men¬
schen eine ordentliche hohe Schule, in welcher sich
sein Charakter auf das Trefflichste entwickeln und
bewähren, oder in welcher er, falls dieser von
Hause aus fest ist, sein Urtheil und seine An¬
schauungsweise der Welt gründen und reguliren
kann. Jener beliebte Paragraph in den gang
und gäben Verhaltungslehren "eines Vaters an
seinen Sohn": Borge von Niemandem, aber
borge auch Niemandem, denn das Borgen ent¬
fremdet die besten Freunde und stört alle Ver¬
hältnisse! ist ein gedankenloser, schäbiger Para¬

gleich jenen ruͤſtigen Weltmenſchen, welche ſich
deſto mehr mit einem gluͤckhaften Erwerbe bruͤſten,
je werthloſer und thoͤrichter das iſt, was ſie leiſten
und durch irgend eine verkehrte Laune des Ge¬
ſchmackes unterzubringen wiſſen.

Waͤhrend er aber ſolche ſtolze Ehrlichkeit be¬
ſaß, beſann er ſich, da er Credit fand als ein un¬
beſcholtener junger Menſch, gar nicht, Schulden
zu machen, und fand es ganz in der Ordnung,
auf dieſe Weiſe bequem und ohne weiteres Kopf¬
zerbrechen das zweite Jahr hindurch zu leben.

Die Schulden ſind fuͤr den modernen Men¬
ſchen eine ordentliche hohe Schule, in welcher ſich
ſein Charakter auf das Trefflichſte entwickeln und
bewaͤhren, oder in welcher er, falls dieſer von
Hauſe aus feſt iſt, ſein Urtheil und ſeine An¬
ſchauungsweiſe der Welt gruͤnden und reguliren
kann. Jener beliebte Paragraph in den gang
und gaͤben Verhaltungslehren »eines Vaters an
ſeinen Sohn«: Borge von Niemandem, aber
borge auch Niemandem, denn das Borgen ent¬
fremdet die beſten Freunde und ſtoͤrt alle Ver¬
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[135/0145] gleich jenen ruͤſtigen Weltmenſchen, welche ſich deſto mehr mit einem gluͤckhaften Erwerbe bruͤſten, je werthloſer und thoͤrichter das iſt, was ſie leiſten und durch irgend eine verkehrte Laune des Ge¬ ſchmackes unterzubringen wiſſen. Waͤhrend er aber ſolche ſtolze Ehrlichkeit be¬ ſaß, beſann er ſich, da er Credit fand als ein un¬ beſcholtener junger Menſch, gar nicht, Schulden zu machen, und fand es ganz in der Ordnung, auf dieſe Weiſe bequem und ohne weiteres Kopf¬ zerbrechen das zweite Jahr hindurch zu leben. Die Schulden ſind fuͤr den modernen Men¬ ſchen eine ordentliche hohe Schule, in welcher ſich ſein Charakter auf das Trefflichſte entwickeln und bewaͤhren, oder in welcher er, falls dieſer von Hauſe aus feſt iſt, ſein Urtheil und ſeine An¬ ſchauungsweiſe der Welt gruͤnden und reguliren kann. Jener beliebte Paragraph in den gang und gaͤben Verhaltungslehren »eines Vaters an ſeinen Sohn«: Borge von Niemandem, aber borge auch Niemandem, denn das Borgen ent¬ fremdet die beſten Freunde und ſtoͤrt alle Ver¬ haͤltniſſe! iſt ein gedankenloſer, ſchaͤbiger Para¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/145>, abgerufen am 24.04.2024.