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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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gleich einer Uhr, aus welcher man die Hemmung
genommen hat; denn jenes Liedchen hat eigentlich
einen einfachen und eintönigen Inhalt, Indessen
ist der Dilettantismus trotz seiner umfangreichen
Macht ein unerfreuliches Dasein; im Grunde sind
trotz aller äußeren Schicksale nur die Meister
glücklich, d. h. die das Geschäft verstehen, was
sie betreiben, und wohl Jedem, der zur rechten
Zeit in sich zu gehen weiß. Er wird, einen
Stiefel zurechthämmernd, ein souveräner König
sein neben dem hypochondrischen Ritter vom Di¬
lettantismus, der im durchlöcherten Ordensmantel
melancholisch einherstolzirt.

Heinrich's Werklein, als es fertig war, sah
nun höchst seltsam aus. Er hatte sich die voll¬
saftige Frische des Vortrages, auf welche die von
dem Meister gerathene Anordnung durchaus be¬
rechnet war, doch nicht geben können und war
unwillkürlich wieder in seine blasse traumhafte
Malerei verfallen, während die vielen naiven und
liebenswürdigen Züge eines erfindungslustigen
Gemüthes, welche auch ein solches mangelhaftes
Werk gewissermaßen ansprechend und unterhaltend

gleich einer Uhr, aus welcher man die Hemmung
genommen hat; denn jenes Liedchen hat eigentlich
einen einfachen und eintoͤnigen Inhalt, Indeſſen
iſt der Dilettantismus trotz ſeiner umfangreichen
Macht ein unerfreuliches Daſein; im Grunde ſind
trotz aller aͤußeren Schickſale nur die Meiſter
gluͤcklich, d. h. die das Geſchaͤft verſtehen, was
ſie betreiben, und wohl Jedem, der zur rechten
Zeit in ſich zu gehen weiß. Er wird, einen
Stiefel zurechthaͤmmernd, ein ſouveraͤner Koͤnig
ſein neben dem hypochondriſchen Ritter vom Di¬
lettantismus, der im durchloͤcherten Ordensmantel
melancholiſch einherſtolzirt.

Heinrich's Werklein, als es fertig war, ſah
nun hoͤchſt ſeltſam aus. Er hatte ſich die voll¬
ſaftige Friſche des Vortrages, auf welche die von
dem Meiſter gerathene Anordnung durchaus be¬
rechnet war, doch nicht geben koͤnnen und war
unwillkuͤrlich wieder in ſeine blaſſe traumhafte
Malerei verfallen, waͤhrend die vielen naiven und
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[130/0140] gleich einer Uhr, aus welcher man die Hemmung genommen hat; denn jenes Liedchen hat eigentlich einen einfachen und eintoͤnigen Inhalt, Indeſſen iſt der Dilettantismus trotz ſeiner umfangreichen Macht ein unerfreuliches Daſein; im Grunde ſind trotz aller aͤußeren Schickſale nur die Meiſter gluͤcklich, d. h. die das Geſchaͤft verſtehen, was ſie betreiben, und wohl Jedem, der zur rechten Zeit in ſich zu gehen weiß. Er wird, einen Stiefel zurechthaͤmmernd, ein ſouveraͤner Koͤnig ſein neben dem hypochondriſchen Ritter vom Di¬ lettantismus, der im durchloͤcherten Ordensmantel melancholiſch einherſtolzirt. Heinrich's Werklein, als es fertig war, ſah nun hoͤchſt ſeltſam aus. Er hatte ſich die voll¬ ſaftige Friſche des Vortrages, auf welche die von dem Meiſter gerathene Anordnung durchaus be¬ rechnet war, doch nicht geben koͤnnen und war unwillkuͤrlich wieder in ſeine blaſſe traumhafte Malerei verfallen, waͤhrend die vielen naiven und liebenswuͤrdigen Zuͤge eines erfindungsluſtigen Gemuͤthes, welche auch ein ſolches mangelhaftes Werk gewiſſermaßen anſprechend und unterhaltend

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/140>, abgerufen am 19.04.2024.